Lörracher Gastbeitrag Israel nach dem 7. Oktober 2023 – Lörracher Jörg Müller schildert Eindrücke aus Tel Aviv

Jörg Müller
Jörg Müller (links) beim Abendessen mit Aviram aus Herzliya. Foto: zVg

„Es ist nicht die Sorge um meine Sicherheit. Dafür ist mir das Land zu vertraut. Nein es ist die Beklemmung, was mich erwartet. Wie hat sich Israel verändert. Erkenne ich es wieder. Werde ich den Emotionen gerecht und wie persönlich trifft es mich?“

Bereits am Flughafen Zürich wird mir bewusst, dass meine 40. Reise nach Israel anders wird als üblich. Man spricht mich automatisch auf Hebräisch an. In diesen Zeiten ist man nicht gewohnt, dass Touristen ins Land kommen.

Bereits bei der Einreise am Flughafen Ben Gurion werden im Sekundentakt die Gesichter der Geiseln auf dem Monitor eingeblendet. Der Bilderstream wird nur in dem kurzen Moment unterbrochen, als mein eigenes Gesicht gescannt und mit dem Reisepass verglichen wird. Nein, dieses Land vergisst ihre Menschen nicht: Keinen einzigen!

Mieten deutlich gesunken

Mein Freund Yoram besorgte mir eine Unterkunft in einem Gästehaus in Jaffa, das von Arabern und Juden bewohnt wird. Unmittelbar nach dem 7. Oktober seien hier die Mieten um 25 Prozent gesunken. Tür an Tür mit Arabern zu wohnen, mache Yoram inzwischen nachdenklich, da es keine Pufferzone gebe, falls jemand einen Anschlag plane.

Später beim Mittagessen unterhält sich Yoram lebhaft mit einer arabischen Arbeitskollegin. Er sei dankbar darüber, dass es innerhalb Israel unter den über zwei Millionen Arabern absolut ruhig sei. Natürlich gebe es hin und wieder zwanzig Demonstranten oder einige Studenten, die auf sozialen Netzwerken die Hamas für ihre Gräueltaten loben, aber das seien die Ausnahmen.

Gespräche auf dem Hostage-Square in Tel Aviv Foto: Jörg Müller

Ein Kämpfer für den Frieden

Am Nachmittag unterhalte ich mich mit meinem alten Freund Moshe, ein Professor und Regierungsberater. Wir hatten uns 2006 in Berlin kennengelernt, als Moshe zusammen mit dem Bundestagspräsidenten Lammert den Deutsch-Israelischen Kongress eröffnete. Auch er hat uns bereits 2007 in Lörrach besucht. Moshe meinte, er habe in vier Kriegen gekämpft. Inzwischen sei er ein Kämpfer für den Frieden. Es gebe nur noch wenige Optimisten sowohl unter Israelis als auch unter Palästinensern. Beide Seiten hätten nicht genug für den Frieden getan. Er wünschte sich von uns, dass wir ausgewogen blieben.

Am Abend lade ich noch schnell die App „Red Alert“ auf mein Handy. Hier kann jeder bei Raketenangriffen auf Israel in Echtzeit gewarnt werden. Die App gibt sogar an, welcher konkrete Ort von einem Einschlag gefährdet ist.

Muskel der Hoffnung trainieren

Täglich finden Veranstaltungen auf dem „Hostage-Square“ in Tel Aviv statt. Ich komme zu einer Kundgebung, bei der man gemeinsam singt und Einzelne zu den Anwesenden sprechen. Ein Satz berührt mich sehr: „Wir sind täglich hier, um unseren Muskel der Hoffnung zu trainieren!“ Was für eine kraftvolle Aussage.

Am Ende steht das Mikrofon offen für alle, die etwas sagen möchten. Auch ich richte einige Sätze in Hebräisch und Englisch an die Zuhörer. Während ich in den folgenden zwei Stunden über den Platz gehe, kommen immer wieder Menschen auf mich zu. Am Ende sind es etwa 20 Personen, die entweder Fragen an mich haben, mir still die Hand geben und danken, oder mich einfach mit Tränen in den Augen umarmen. Ich spüre, wie wichtig es den Menschen hier ist, auch ein Zeichen von außerhalb zu bekommen.

Bilder der Geiseln hängen überall in Tel Aviv. Foto: Jörg Müller

Botschaft an die Lörracher

Auch Aviram verbrachte vor Jahren mit seiner Familie eine Woche bei uns im Dreiländereck. Wir trafen uns im Juni 2023 das letzte Mal, als unsere Kinder nach dem Besuch am Strand von Herzliya zusammen den Spielplatz erkundeten.

Seine Botschaft an uns in Lörrach lautet einfach, wir sollten uns bewusst machen, dass der Kampf Israels in diesem Konflikt auch der Verteidigung der westlichen Werte diene.

Wir enden das Abendessen mit unserem ansonsten üblichen Gesprächsthema „Fußball“ und damit, wie unsere Prognosen für die Europameisterschaft sind. Selbstverständlich sind wir wie immer unterschiedlicher Meinung.

Der Autor

Jörg Müller
(53) engagiert sich als Vorsitzender des Vereins Emahti aktiv in der Prävention von Antisemitismus. Über zwei Jahrzehnte hinweg organisierte er schon über 30 Gruppenreisen nach Israel und brachte die Teilnehmer mit Holocaustüberlebenden und deren Angehörigen zusammen. Viele Juden, Araber und Palästinenser haben ihn bereits in Lörrach besucht.

 

Umfrage

E-Auto

Die EU hat ein weitgehendes Verbrenner-Aus bis 2035 beschlossen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading