^ Malsburg-Marzell: Alle Räte fordern Singers Rücktritt - Malsburg-Marzell - Verlagshaus Jaumann

Malsburg-Marzell Alle Räte fordern Singers Rücktritt

Markus Adler
Die Gemeinderatssitzung in Malsburg-Marzell endet mit der Rücktrittsforderung an den Bürgermeister. Foto:  

Der Gemeinderat von Malsburg-Marzell verlangt den sofortigen Rücktritt von Bürgermeister Mario Singer. Die Bürger machen ihrem Ärger ebenso Luft und kritisieren ihn hart für seine dritte Bewerbung in einer anderen Gemeinde.

Wer von draußen aus dem Herbststurm mit viel Wind und späterem Regen hereinkommt, empfindet es als sehr ruhig im Bürgerhaus Edenbach in Malsburg-Marzell. Ein Gemeinderat nach dem anderen betritt den Saal, grüßt: „’N Obe miteinander“ und nimmt am Ratstisch Platz. Vorne sitzt Bürgermeister Mario Singer und wartet auf den Beginn der Sitzung. Es ist die erste unter seiner Leitung seit seiner erfolglosen Kandidatur in Münstertal.

60 Besucher sind gekommen – das sind drei- bis viermal so viele Gäste wie sonst. Pünktlich um 20 Uhr eröffnet Singer die Sitzung und übergibt an seinen Stellvertreter Manfred Wetzel eine Flasche Glühwein als Dank dafür, dass er die vergangene Ratssitzung geleitet hat. Zu diesem frühen Zeitpunkt spricht keiner über „das Thema“, bis der Bürgermeister der Berggemeinde den ersten Zug macht.

Er wiederholt im Wesentlichen, was er bereits unserer Zeitung nach der Bürgermeisterwahl in Münstertal gesagt hat. Singer erklärt seine Kandidatur zur „Privatsache“ und fügt an, dass es „gelebte Demokratie“ sei, wenn er sich für ein öffentliches Amt bewerbe. Beim Punkt, dass er eigentlich eine Zusage gegeben hatte, seine Amtszeit in Malsburg-Marzell zu erfüllen, weicht er aus und sagt: „Da wusste ich von der Chance, die sich mir in Münstertal bieten würde, noch nichts.“

Wahlkampf in Freizeit

Das zweite Argument in seiner Verteidigung ist der Fakt, dass er für den Wahlkampf Urlaub genommen und diesen in seiner Freizeit geführt habe. Beim nächsten Argument wird klar, was der eigentliche Knackpunkt ist und was eine Zuhörerin wenig später „das Fehlen von Selbstreflexion“ nennen wird. „Bei Gericht, auf hoher See und bei Wahlen weiß man nie, was herauskommt“, sagt Singer.

Damit liefert er einen zusätzlichen Angriffspunkt, den auch viele Zuhörer kritisieren werden – nämlich dass er als schlechter Verlierer wahrgenommen wird, der gegen den neu gewählten Bürgermeister Münstertals nachtritt. Singer sagt noch, er werde sich nicht rechtfertigen, aber hat genau das gerade getan.

André Hintenaus schlägt vor, die Fragestunde an das Ende der Sitzung zu verlegen, was für weiteres Gemurmel im Publikum verantwortlich ist. Die restliche Sitzung plätschert eher gewohnheitsmäßig etwas vorbei. Einzig beim Haushalt wird es für Singer etwas unangenehm, da einige Gemeinderäte mit seinen Antworten auf ihre Nachfragen nicht zufrieden sind.

Der Ton ist freundlich

Der Ton der Sitzung ist freundlich und um Verbindlichkeit bemüht, aber es fällt auf, dass Singer sich oft wiederholt, und dass Bürger im Publikum offen mitzählen, wie oft er das Wort „entsprechend“ in der zweistündigen Sitzung gebraucht – rund 180 Striche zeigt mir ein Mann später auf seinem Smartphone.

Gemeinderat Hans-Peter Osswald verliest eine Erklärung aller Ratsmitglieder (siehe Info) und wird mehr als deutlich: „Eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Ihnen ist nicht mehr möglich“, sagt er unter dem Beifall der Zuhörer und fordert Singer offiziell zum Rücktritt auf. Der Bürgermeister sitzt derweil mit angewinkelten Armen am Tisch und zeigt keine körperlich sichtbare Reaktion. „Sie haben dreimal versucht, unserer Gemeinde den Rücken zu kehren“, bringt es Osswald auf den Punkt und als ob das noch nicht genug wäre, rechnet er Singer schwere handwerkliche, kommunikative Versäumnisse und Fehler vor.

Bei der Schülerbeförderung habe er eine Lösung durchsetzen wollen, die 125 000 Euro gekostet habe und die die Ortsteile abgehängt hätte. Er habe den Rat mehrfach „belogen“ – also wissentlich falsche Fakten benannt. Außerdem habe er Anliegen der Bürger „nicht bearbeitet, nicht beantwortet oder verschleppt“. Die weitere inhaltliche Kritik aus Rat und von Bürgern bezieht sich auf eine ihrer Ansicht nach fehlende fachliche Qualifikation, schlechte Kommunikation und eine nicht vorhandene Bereitschaft, auf Hinweise hören zu wollen – eine Zuhörerin wird es „Beratungsresistenz“ nennen.

Enttäuschte Reaktionen

Die Ratsmitglieder widersprachen auch Singers Argumentation, seine Bürgermeister-Kandidatur sei „privat“. „Der Bürgermeister von Malsburg-Marzell repräsentiert die Gemeinde nach außen“, sagt Dirk Kielching, „und da haben Sie ein ganz schlechtes Bild abgegeben.“ Die einzige Frau am Ratstisch, Ulrike Richter, sagt zweimal, sie sei „entsetzt“ gewesen und enttäuscht – nicht nur persönlich, sondern auch welche Rolle der Bürgermeister ihrer Gemeinde in der Öffentlichkeit gespielt habe. Dann folgt der Moment des Abends: Alls Räte stehen auf, um Singer zum Rücktritt aufzufordern, und alle Zuhörer tun genau das Gleiche. Niemand bleibt für Singer sitzen, und in diesem Moment ist er wirklich ganz allein.

Die Zuhörer gingen hart ins Gericht mit Bürgermeister Singer. Foto: Markus Adler

Wie es weitergehen soll

Die wichtigste Frage an diesem Abend bleibt unbeantwortet, obwohl sie mehrfach direkt an Singer gestellt wird: wie es weitergehen soll. Der Bürgermeister sagt dazu nur, dass er weiterarbeiten wolle auf der Sachebene. Am Ratstisch ist eine gewisse Ratlosigkeit zu spüren, als ein Zuhörer einen Mediator oder eine Vermittlung durch Altbürgermeister Gerd Schweinlin ins Gespräch bringt. Zweimal sei das schon versucht worden, antwortet ein Gemeinderat. Mario Singer antwortet ganz deutlich, dass er seine Amtszeit bis Juni 2026 erfüllen wolle – als nächstes Etappenziel steht im Juni 2024 die Kommunalwahl an.

Amtszeit bis 2026 erfüllen

Die Räte machen aber auch klar, dass sie nicht glauben, dass es mit einem neu gewählten Gemeinderat anders laufen wird. Im Publikum sagt derweil ein Mann im Zuschauerbereich zu seinem Nachbarn und gibt die allgemeine Stimmung wider: „Am besten für alle wäre es, wenn er sich krank melden würde.“ Sein Nachbar nickt mit dem Kopf: „Am besten morgen.“

Info

Kein Vertrauen mehr:
„Nach ihrer erneuten Bewerbung für ein Bürgermeisteramt, aktuell in der Gemeinde Münstertal, ist für uns eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit nicht mehr möglich.“

Keine Kooperation:
„Ihre Behauptung in der Presse, dass der Gemeinderat von Anfang gegen Sie gearbeitet hat, stimmt nicht. Auch im Gemeinderat sitzen Wähler von Ihnen. Wir haben Ihnen zu Beginn ihrer Amtszeit sogar mehrfach unsere Hilfe angeboten, die jedoch ihrerseits nicht angenommen wurde.“

Rat belogen:
„Darüber hinaus haben Sie schon mehrfach einzelne Mitglieder des Gemeinderats sowie das gesamte Gremium belogen. Diese Behauptung können wir belegen (...).“  

Amtsverzicht:
„Wenn das tatsächlich der Fall ist (Anm. der Redaktion: dass ihm die Gemeinde ans Herz gewachsen sei), dann tun Sie der Gemeinde einen Gefallen und verzichten Sie auf Ihr Amt als Bürgermeister der Gemeinde Malsburg-Marzell.“

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