Müllheim Gedenken mit vielen Facetten

Weiler Zeitung
Mit ihrem intensiven Dialog zum Thema „Inszenierung einer Hinrichtung“ hielten der Künstler Johannes Beyerle und die Historikerin Kathryn Babeck die Besucher im Innenhof des Museums am Samstagabend im Bann. Foto: Bianca Flier

Erinnerung: Künstlergespräch mit Johannes Beyeler und Kathryn Babeck im Markgräfler Museum

Der Mord an dem polnischen Zwangsarbeiter Waclaw Zenszykiewicz durch die Gestapo im Oktober 1941 im Steinbruch von Sitzenkirch war Thema eines Gesprächs im Markgräfler Museum. Künstler Johannes Beyerle und der Historikerin Kathryn Babeck beleuchteten die Geschehnisse von verschiedenen Seiten.

Von Bianca Flier

Müllheim. Dabei trat auch der Kontrast zwischen künstlerischer und historischer Betrachtungsweise deutlich hervor. Während die Historikerin auf präzise Fakten angewiesen ist, kann der Künstler sich dem Sachverhalt durch eine „Materialisierung der Erinnerung“ annähern, ohne dabei eine figürliche Konkretisierung vorzunehmen.

Seit drei Jahrzehnten setzt sich Beyerle mit dem Schicksal des ermordeten Polen künstlerisch auseinander. Die dürren Fakten sind laut Kathryn Babeck ein Zeugnis für das Schicksal, das Tausende von Zwangsarbeitern im „Dritten Reich“ ereilte. Für eine Hinrichtung gab es drei Gründe: Sabotage, Ungehorsam gegenüber dem Arbeitgeber oder „Rassenschande“. Letzteres wurde Waclaw Zenszykiewicz vorgeworfen, da er ein Liebesverhältnis mit einer Deutschen aus dem Ort eingegangen war. Zenszykiewicz war als so genannter „Zivilarbeiter“ dem Arbeitsamt unterstellt und arbeitete in einer Gärtnerei in Kandern. Dort war er bestens in die Familie integriert.

Heimbewohner erzählten vom „Polenwäldle“

Johannes Beyerle erfuhr von dem Verbrechen, während er in einem Altenheim in Kandern als Pfleger tätig war. Heimbewohner erzählten ihm vom „Polenwäldle“ und dem Drama, das sich dort am 29. Oktober 1941 abgespielt hatte. Als Kathryn Babeck schilderte, wie so eine Hinrichtung ablief, überkam einen das Grauen. Das Opfer wurde durch das ganze Dorf zum Ort der Vollstreckung geführt. In Anwesenheit der Dorfbewohner, unter denen sich auch Kinder befanden, wurde der Unglückliche durch zwei von der Gestapo abgestellte Zwangsarbeiter gehenkt. Zusehen dabei mussten auch alle anderen Zwangsarbeiter aus dem Ort. Wo Waclaw Zenszykiewicz beerdigt oder vermutlich einfach nur verscharrt wurde, ist nicht mit Sicherheit überliefert.

Künstlerische Umsetzung im Steinbruch

Beyerle suchte den Steinbruch auf, in welchem Zenszykiewicz ermordet worden war, und errichtete in mühevoller Arbeit einen „Lesehaufen“ aus Steinen. Auf die Steine malte er mit Lehm Gesichter, die nach und nach durch die Witterung verblassen und so als Symbol der Erinnerung stehen können.

Die Gespräche mit den Heimbewohnern nahm der Künstler auf Video auf. Den Film projizierte er später – ohne Ton – auf ein Relief, das er ebenfalls aus Steinen der Hinrichtungsstätte zusammengesetzt hat. Aus dem gleichen Steinmaterial schuf Beyerle auch zwei Kopf-Skulpturen. Sie sind Annäherungen an das Gesicht des Mordopfers. Eine Fotografie von Waclaw Zenszykiewicz erhielt Beyerle durch den Kontakt zu einem Enkel des Ermordeten.

Beyerles Lesesteinhaufen trägt allerdings keine Inschrift, die ihn als öffentliche Gedenkstätte an das Verbrechen kennzeichnet. Gefragt nach dem Sinn des Ganzen musste der Künstler bekennen, er zweifle oft selbst an der Sinnhaftigkeit. Der Steinhaufen sei ein persönliches Zeichen, kein öffentliches Denkmal. Er habe auch nie die Absicht gehabt, mit seinen Fragen jemandem eine Schuld zuzusprechen, obwohl ihm das oft so ausgelegt wurde. Sein „Drang nach Dialog“ stand im Widerspruch zum Prozess des Vergessens. Kathryn Babeck brachte das mit einem Wort auf den Punkt: Verdrängung.

Dass der Steinbruch bei Sitzenkirch zeitweise zum Abladen von Schutt und Schlachtabfällen benutzt wurde, wertete Beyerle als „unwissende Schuld“ und als ein Zeichen für das Verblassen der sich ständig verändernden Erinnerung.

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