Müllheim Von der Kassette zum E-Book

Alexander Anlicker

Mediathek: Petra Liebrecht spricht über den Wandel in der Bibliothekslandschaft / Neubau vor 20 Jahren

Müllheim - Vor 20 Jahren zog die ehemalige Stadtbücherei von ihren Räumen in der Alemannen-Realschule in den neuen Anbau an die Villa Weber und wurde zur Mediathek.

Petra Liebrecht kam damals nach Müllheim und hat die Leitung der neuen Mediathek übernommen. Im Gespräch mit unserer Zeitung berichtet die Bibliothekarin vom Wandel der Bibliothekslandschaft.

Frage: Wie haben Sie die Zeit erlebt?

Das war natürlich eine spannende und arbeitsreiche Zeit. Ich kam von Emsdetten im Münsterland, einer Stadt mit damals rund 33 000 Einwohnern, wo ich 1992 die neue Stadtbibliothek als Leiterin mit gestaltet hatte, allerdings mit zwölf Monaten Vorlauf und nicht wie hier in zehn Wochen.

Dass noch bis zum Schluss und über die Eröffnung hinaus letzte Hand an alles Mögliche gelegt wurde, war mir also bekannt. Dass ein Autor – Urs Widmer – nach der Lesung zu einer Weinprobe beim Winzer eingeladen wird, war im Münsterland natürlich nicht möglich und beeindruckte mich sehr.

Frage: Die Mediathek hat nicht nur Bücher sondern auch eine Vielzahl an anderen Medien. Was war damals neu, und was ist heute bereits wieder Geschichte?

Damals neu in der Mediathek waren nur die CD-ROMs und die Filme auf VHS-Kassetten. Hörbücher, überwiegend für Kinder, aber auch einige für Erwachsene gab es natürlich schon länger in der Müllheimer Bücherei als Kassetten. Diese Medienarten sind bei uns schon lange verschwunden, ersetzt von DVDs und CDs, beziehungsweise MP3-CDs und natürlich auch in der digitalen Form über die Onleihe und ganz neu in Form von Tonies.

Frage: Zu den damaligen Neuerungen gehörten damals auch die Computer mit Internetzugang, gibt es das noch, oder gehen heute alle mit dem Smartphone ins Internet?

Wir starteten damals mit zwei öffentlichen Internet-PCs und drei Multimedia-PCs, die schon im zweiten Jahr um weitere fünf Internet-PCs erweitert werden konnten, die so regen Zulauf hatten, dass wir irgendwann eine Gebühr für die Nutzung einrichten mussten. Heute haben wir tatsächlich noch vier Internet-PCs sowie zwei Arbeitsstationen inklusive einem Scanner.

Internet haben zwar fast alle über ihr Smartphone oder Tablet zuhause, dafür besitzen aber immer weniger einen – funktionierenden – Drucker. Wenn sie dann einmal etwas ausdrucken müssen, kommen sie zu uns. Mittlerweile haben wir natürlich auch freies W-LAN, so dass die Gruppe „Senioren helfen am PC“ auch in größeren Gruppen bei uns arbeiten kann, wenn der eigene Laptop mitgebracht wird.

Frage: Die Mediathek bietet auch Filme, Brett- und Computerspiele an. Welche Rolle spielt das klassische Buch, sei es gedruckt, als E-Book oder als Hörbuch?

Computerspiele auf CD-ROM haben wir schon lange nicht mehr, Konsolenspiele haben wir nie angeboten, da hatten und haben wir den Mut zur Lücke. Dafür haben wir ein ganz passables Angebot an analogen Gesellschaftsspielen. Das Buch spielt in Bibliotheken nach wie vor die größte Rolle.

Viele Menschen bevorzugen immer noch ein klassisches Buch und greifen nur dann zum e-Book, wenn sie im Urlaub sind, wenn sie die Schrift vergrößern oder nachts einen dicken, schweren Wälzer lesen wollen, der im Bett, im Liegen doch etwas zu schwer und unförmig ist.

Viel- und Schnellleser haben mir erzählt, dass sie am e-Book-Reader manchmal gar nicht mehr wissen, welches Buch, welchen Krimi sie denn gerade lesen, weil das Cover nur am Anfang sichtbar ist. Auch haben sie keinen richtigen Überblick, wie weit sie im Buch sind, ob schon über die Mitte hinaus oder gar schon fast am Ende? Beim reinen Lesefutter ist das aber nicht weiter störend. Liest man jedoch ein Sachbuch, ist es einfacher, sich Inhalte zu merken, wenn man zwischen den Seiten hin und her blättern kann (was natürlich auch beim e-Book geht, aber trotzdem anders ist), um einen Inhalt noch einmal vertiefen zu können.

Da ich persönlich leider relativ wenig Zeit zum Lesen habe, höre ich mittlerweile gerne Hörbücher beim Kochen und sonstiger Hausarbeit. Ist es ein Sachbuch und ich finde es gut, hole ich mir allerdings doch noch das gedruckte Buch, um bestimmte Stellen nachlesen zu können.

Frage: Die Mediathek setzt sich mit vielen Aktivitäten für die Leseförderung bei Kindern und Jugendlichen ein. Welche Rolle spielt das Lesen noch?

Das Lesen (und Schreiben) ist die Kulturtechnik in unserer komplexen Welt per se. Natürlich kann man sich heute vieles per App vorlesen lassen, spricht oder liest seine Antwort ein – aber kommt man damit weit? Deshalb ist es wichtig, dass das Lesen lernen gefördert wird. Gerade heutzutage, wo so viel digitale Ablenkung vorhanden ist.

In der internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU) 2016 wurde festgestellt, dass knapp ein Fünftel (18,9 Prozent) der Zehnjährigen in Deutschland nicht so lesen kann, dass der Text dabei auch verstanden wird. Das ist beängstigend. Die Kinderbuchautorin Kirsten Boie setzt sich mit der Hamburger Erklärung „Jedes Kind muss lesen lernen“ sehr für die Leseförderung ein. Und die Bibliotheken ebenfalls.

Frage: Wie hat sich das Leseverhalten in den vergangenen Jahren verändert?

Es wird weniger gelesen, vor allem lange Texte. Die erfordern Konzentration und Muße, die weniger aufgebracht werden. Das Lesen digitaler Texte am Smartphone geht schneller, weil sie in der Regel kürzer sind. Die Verlage haben darauf reagiert und bringen „Leicht zu Lesen“-Reihen heraus.

Frage: Die heute über 50-Jährigen sind als Kinder mit Karl Mays Winnetou groß geworden. Diese Bücher sind – trotz Neuverfilmung – gar nicht mehr so gefragt, woran liegt das?

Jede Zeit hat ihre Bücher und Themen. Damals gingen die Kinder an Fasnacht auch noch als Cowboy und Indianer. Heute gehen sie als Zauberlehrlinge à la Harry Potter, Aliens und Star-Trek-Figuren. Harry Potter war übrigens eine fantastische „Leseförderung“ für Jungs. Die Mehrzahl der Jungen war schon immer schwerer zum Lesen zu bewegen als Mädchen. Als aber Harry Potter auf dem Buchmarkt erschien, lasen die Jungs so gerne wie die Mädchen. Dieser Effekt hat sich leider wieder abgeschwächt, seit die Bücher verfilmt sind und man sie nicht mehr lesen muss, um Harry Potters Abenteuer kennen zu lernen.

Frage: Was ist heute bei den Mediatheksnutzern an Büchern angesagt?

Kinder lesen unheimlich gerne Reihen: Vom magischen Blumenladen, über Petronella Apfelmus, Der kleine Drache Kokosnuss, Liliane Susewind, das magische Baumhaus bis zur Piratenschiffgäng. Bei Jugendlichen ist Fantastisches angesagt, häufig auch als Dystopie. Zum Beispiel „Die Tribute von Panem“, die ja längst schon verfilmt sind.

Erwachsene orientieren sich öfter an den Bestseller-Listen oder an ihren ureigensten Interessen.

Frage: Wie viele Bücher lesen Sie selbst, was lesen Sie aktuell und welches Buch können Sie empfehlen?

Zur Zeit lese ich „Connaisseur“ den neuesten „Bruno, Chef de police“ von Martin Walker, blättere durch „Der Giersch muss weg“, ein Buch über sogenannte Unkräuter, die statt sie zu eliminieren, man auch einfach essen könnte, inklusive feinen Wildkräuterrezepten. Als Hörbuch habe ich mir gerade „Das Rosie-Resultat“ von Graeme Simsion ausgeliehen und hoffe, dass es ähnlich witzig ist, wie die ersten beiden Bände über den leicht autistischen Wissenschaftler Don Tillman. Gerade fertig gelesen habe ich „Der Wal und das Ende der Welt“ von J. W. Ironmonger, in dem ein Computerprogramm eine riesige Grippewelle voraussagt…Es ist keine Dystopie und geht tröstlich aus.

Frage: Sie sind vor 20 Jahren neu ins Markgräflerland gekommen, wie haben Sie sich eingelebt und was schätzen Sie an der Region am meisten?

Als Badenerin wollte ich damals im Münsterland wieder zurück ins Ländle. Es hat mir von Anfang an gut gefallen: Hier ist so viel Kultur, so eine herrliche Landschaft, eine feine Küche, viel Genuss und Leichtigkeit. In meinem Garten wachsen und reifen Feigen, abends kann man sehr lange draußen sitzen, es ist nicht weit in die Vogesen und nicht weit in die Schweiz, es ist einfach wunderschön.

ist im Schwarzwald aufgewachsen und in Donaueschingen zur Schule gegangen. Sie studierte an der Fachhochschule für Bibliothekswesen (FHB) in Stuttgart. Liebrecht ist verheiratet und hat eine erwachsene Tochter. Ihre Hobbys sind – außer lesen: walken, wandern, e-biken und gärtnern.

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