Neuenburg Sie lassen sich nichts vorschreiben

Weiler Zeitung
Das Gemälde aus dem Neuenburger Museum zeigt eine historische Stadtansicht. Foto: Bianca Flier Foto: Weiler Zeitung

Historie: Die Urkunden der Stadt Neuenburg am Rhein – Band 2 / Zeitreise ins Spätmittelalter

Anlässlich der Buchpräsentation zum Band 2 der Reihe „Die Urkunden der Stadt Neuenburg“ im Sitzungssaal des Rathauses (wir berichteten) nahm Jörg W. Busch, einer der beiden Autoren, die Besucher mit auf eine faszinierende Zeitreise: Ein virtueller Spaziergang durch das spätmittelalterliche Neuenburg, mit dem Ziel, eine Verhandlung des offenen Gerichts unter der Ratslaube zu erleben.

Von Bianca Flier

Neuenburg am Rhein. Hier, im Schatten des Rathauses, tagten dreimal wöchentlich der Schultheiß, der zugleich Richter war, und eine Abordnung der Ratsherren, die eine Art Schöffengericht bildeten. In lebendigen Bildern führte Busch den Hörern vor Augen, wie sich so eine Gerichtsverhandlung abgespielt hat.

Bürgermeister Joachim Schuster hatte Recht, als er in seiner Begrüßung betonte, das Urkundenbuch läse sich spannend wie ein Roman. Denn die Rechtsprechung gestaltete sich im Mittelalter noch viel komplizierter als heute. Das lag vor allem an den unterschiedlichen Rechtsbezirken, die sich nach den jeweiligen Herrschaften richteten. So war für die freie Reichstadt Neuenburg am Rhein gesetzlich der Magistrat der Stadt zuständig, während das benachbarte Müllheim zur Herrschaft Badenweiler gehörte und folglich auch unter deren Gerichtsbarkeit fiel. Wie der Spaziergang zur Ratslaube zeigte, führte das zu mancher Verwicklung.

Der virtuelle Spaziergang beginnt:

Unser Spaziergang beginnt vor den Toren von Neuenburg und führt uns zunächst am Klemmbach entlang, der im Mittelalter noch „Müllheimer Bach“ heißt. Wir begleiten eine Gruppe von Händlern, die in Ochsenkarren Getreide nach Neuenburg bringen. Es sind grobe Kerle, doch darüber sind wir Zeitreisende froh. Denn plötzlich befinden wir uns am Schauplatz eines heftigen Streits zwischen Neuenburger Bauern und einem Müllheimer Weibel (Amtsdiener), die sich über den Bach hinweg Grobheiten an den Kopf werfen.

Worum geht es? Die Ochsenkarrentreiber klären uns auf: Die Müllheimer Bauern haben den Bach gestaut, um ihre Felder zu bewässern, und nun fehlt den Neuenburgern das Wasser. Es ist nicht das erste und nicht das letzte Mal, dass es zu solchen Auseinandersetzungen kommt. Denn aufgrund der unterschiedlichen Rechtsbezirke kann der Fall nicht vor einem Gericht verhandelt werden. Und die Neuenburger lassen sich nichts vorschreiben – sind sie doch Bürger einer freien Reichsstadt, und darauf sind sie stolz.

Erst 1462 kommt es zu einer Regelung des Wasserrechts – durch den Rat der Stadt Basel, der als neutrale Instanz eine vorurteilsfreie Lösung findet.

Mittlerweile sind wir an der Neuenburger Marktgasse angekommen. Hier hören wir vom so genannten Korngeld, einer Geldanlage in Naturalien, die damals wohl recht beliebt war. Doch schon hören wir den Glockenschlag des Gerichts. Die Sitzung unter der Ratslaube beginnt. Zu unserem Erstaunen lernen wir, dass hier keine Gewaltverbrechen verhandelt und abgeurteilt werden. Hier geht es lediglich um das, was wir heute als Zivilrecht bezeichnen: Kauf und Verkauf, Erbe, Schenkung, im Grund also um notarielle Belange, die in aller Öffentlichkeit verhandelt, beurkundet und von der versammelten Menge der Bürger bezeugt werden. Jede Partei entsendet einen Fürsprecher, der ihr Anliegen vertritt. Nachdem der Schultheiß sich mit den Ratsherren besprochen hat, verkündet er, „was Recht ist“. Und darauf gibt es dann „Brief und Siegel“.

Eines war damals so, wie es heute noch ist: Wenn das Gericht sich erhebt, ist die Sitzung beendet. Nicht aber unser Spaziergang. Der führt uns Zeitreisende jetzt ins „Wirtshaus zum Hasen“, wo wir verwundert erleben, dass es auch hier noch ums Recht geht. Hier tagt nämlich das Schiedsgericht, das Streitfälle zwischen Parteien aus unterschiedlichen Rechtsbezirken verhandelt. Komplizierte Fälle werden aber nicht hier in der Öffentlichkeit, sondern intern vor dem Magistrat verhandelt – besonders dann, wenn „hohe Herrschaften“ darin verwickelt sind oder es um Gewaltverbrechen geht.

Die Rechtsprechenden sind übrigens keine studierten Magister oder Juristen. Sie sind Bürger der Stadt, mit Berufen wie Metzger, Schreiner, Schlosser, Weber oder Wirt.

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