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Schliengen Unzufriedenheit und Turbulenzen

Weiler Zeitung
Karl Mannhardt erinnert sich noch gut an die turbulente Zeit vor 50 Jahren rund um die Bürgermeisterwahl. Foto: ter Foto: Weiler Zeitung

Rückblick: Bürgermeisterwahl vor 50 Jahren eine „Zeitenwende“ / Spannende Dokumentation

Unzufriedenheit, eine schwierige Bürgermeisterkandidatensuche, heftige Turbulenzen bis hin zu persönlichen Anfeindungen und Bedrohungen gab es in Schliengen 1970/71. Karl Mannhardt, der damals Gemeinderat war, gehörte zu einer siebenköpfigen „Rebellengruppe“, die eine Abwahl des damaligen Bürgermeisters Werner Mayer anstrengte. Letztlich wurde durch ihr engagiertes Vorgehen eine neue Ära für die Gemeinde eingeleitet.

Schliengen (ter). Über diese hitzige Zeit vor 50 Jahren rund um die Bürgermeisterwahl sprach unsere Zeitung mit dem 90-jährigen Ehrenbürger. Mannhardt hat dazu vor ein paar Jahren auch eine spannende Dokumentation verfasst.

Frage: 1970/71 war für die Gemeinde Schliengen eine kommunalpolitisch sehr turbulente Zeit mit heiß umkämpften Bürgermeisterwahlen und einer Wahlanfechtung. Sie als damaliger Gemeinderat und Zeitzeuge haben in einer Dokumentation die Vorgänge aufgearbeitet. Was war der Anlass?

Ich bin ein leidenschaftlicher Sammler – auch von Zeitungsberichten. Nachdem ich mich 2002 aus dem Berufsleben zurückgezogen und einige Jahre später nach 36 Jahren auch meine ehrenamtliche Tätigkeit als Schlossarchitekt von Bürgeln aufgegeben habe, kam mir die Idee, diese Zeit anhand von Berichten, Dokumenten und aus meiner Erinnerung heraus aufzuarbeiten, um auch den Nachkommen etwas von diesem sehr bewegten Jahr zu hinterlassen.

Frage: Teilweise liest sich Ihre Dokumentation fast wie ein Polit-Thriller, denn es gab auch Anfeindungen und Drohungen bis hin zur Telefonüberwachung. Sie nennen die Jahre 1970/71 eine Zeitenwende.

Ja, denn es wurde eine neue, zukunftsweisende Epoche für unsere Gemeinde eingeleitet. Und wir hatten in den fast 50 Jahren danach mit Alois Rübsamen und Werner Bundschuh nur zwei Bürgermeister. Und diese sorgten für eine aufstrebende Entwicklung. Seit einem Jahr führt nun Christian Renkert nahtlos die Geschicke weiter.

Frage: Sie waren 1970 eine der treibenden Kräfte, die zusammen mit sechs weiteren Gemeinderäten und angesehenen Geschäftsleuten Schliengens bei der anstehenden Bürgermeisterwahl einen Umschwung einleiteten. Was hat Sie dazu veranlasst?

Es ging einfach nicht vorwärts im Dorf, und es machte sich eine Unzufriedenheit breit. Deshalb schlossen wir uns sieben Gemeinderäte aus unterschiedlichen Fraktionen zusammen und beschlossen aus Verantwortung gegenüber der Gemeinde einen Gegenkandidaten zu Amtsinhaber Werner Mayer zu suchen. Das stellte sich jedoch zunächst als schwieriges Unterfangen heraus.

Frage: Warum?

Weil wir gehofft hatten, dass es einige Bewerber geben würde. Doch das war nicht der Fall. Also setzten wir alle Hebel in Bewegung, um noch in letzter Minute einen Gegenkandidaten aufzutreiben. Es waren nervenaufreibende Tage und Wochen, es waren Tage des Hoffens und Bangens. Die Wellen im Dorf schlugen hoch, es ging ein Riss durch die Gemeinde. Auch das Fernsehen interessierte sich neben den Zeitungen für die kommunalpolitisch spannenden und aufregenden Vorgänge im Vorfeld der Wahl. Schließlich wurden wir in Stuttgart bei einem Stadt-Oberinspektor fündig. Nach langem Hin und Her erklärte er am Samstagabend vor dem Wahlsonntag seine Bereitschaft, dass wir seine Kandidatur bekannt machen können. Schnell fertigten wir Flugblätter an, um unseren Mann der Gemeinde noch vorstellen zu können. 600 Exemplare ließen wir noch Freitagnacht in Müllheim drucken, um 3.30 Uhr am Sonntagfrüh waren alle verteilt.

Frage: Waren denn die intensiven Bemühungen erfolgreich?

Fürs Erste ja. Unser Kandidat erhielt bei einer Wahlbeteiligung von 80 Prozent 15 Stimmen mehr als der Amtsinhaber. So kam es zwei Wochen später zu einer Stichwahl. Doch zu unserer Enttäuschung sagte unser Mann aus Stuttgart aus persönlichen Gründen überraschend ab, so dass wir mit leeren Händen dastanden. Wieder brachen Hektik in unserer Gruppe und Turbulenzen im Dorf aus, nachdem eine anonyme „Unabhängige Wählergemeinschaft“ mit einem Flugblatt sich für den Amtsinhaber stark gemacht und zudem viel Polemik verbreitet hatte. Es gab zu der Zeit zahlreiche Leserbriefe aus beiden Lagern. Unschön war, dass ich mehrfach mitten in der Nacht telefonisch anonyme Drohungen und üble Beleidigungen erhielt, weshalb ich jeweils Telefonüberwachungen beantragte. Da wir fast alle selbstständig waren, riskierten wir mit unserem Engagement beruflich einiges. Zwar gelang es uns, nach fieberhafter Suche noch in letzter Minute einen Kandidaten aus Müllheim für die Stichwahl am 9. August aufzutreiben. Doch letztlich erhielt Werner Mayer 40 Stimmen mehr als unser neuer Kandidat.

Frage: Sie und Ihre Mitstreiter gaben sich jedoch noch nicht geschlagen und hofften auf das Landratsamt in Müllheim. Denn die Wahl wurde angefochten. Aus welchem Grund?

Bei der Stimmabgabe am Wahltag konnte man von außen beobachten, ob jemand in der Wahlkabine durch seine Armbewegung nur ein Kreuz machte oder einen Namen auf den Stimmzettel schrieb. Damit war der Grundsatz der geheimen Wahl verletzt. Schließlich erklärte das Landratsamt Müllheim am 10. Oktober 1970 die erste Wahl und damit folglich auch die Stichwahl für ungültig. Neuer Wahltermin war der 24. Januar 1971. Jetzt hatten wir mehr Zeit, um einen Gegenkandidaten zu finden.

Frage: Und das gelang ja mit Alois Rübsamen aus dem Westerwald.

Ja, Gott sei Dank. Wir streckten unsere Fühler in alle Richtungen aus. Uns wurde dann von einem ehemaligen Mitarbeiter des Landratsamts Müllheim, der inzwischen im Westerwald wohnte, Alois Rübsamen als ein geeigneter Kandidat empfohlen. Dieser leitete in Gehardshain die Verwaltung der Verbandsgemeinde. Wir nahmen sofort Kontakt mit ihm auf, trafen uns mehrfach mit ihm sowohl im Westerwald als auch in Schliengen und waren von Anfang an überzeugt von ihm. Das Ergebnis ist bekannt: Mit 68,7 Prozent der Stimmen wurde Rübsamen auf Anhieb gewählt, auf den Amtsinhaber entfielen 31,3 Prozent. Am 1. April 1971 trat dann Alois Rübsamen sein Amt in Schliengen an und leitete eine erfolgreiche Ära ein wie auch später sein Nachfolger Werner Bundschuh.

Frage: Von den sieben „Rebellen“ von damals leben nur noch Sie. Sind Sie rückblickend stolz, dass Sie und Ihre Mitstreiter aktiv geworden sind und eine Wende herbeigeführt haben?

Ich bin froh und dankbar, dass ich einen Beitrag zu der Wende von damals leisten konnte und den Mut aufgebracht habe, die damit verbundenen Turbulenzen auf mich zu nehmen. Unseren Familien haben ich und meine Kollegen viel zugemutet und unser Ansehen riskiert, damit aus Schliengen und seinen Ortsteilen in den vergangenen 50 Jahren eine lebenswerte Gemeinde geworden ist.

ist 90 Jahre alt, stammt aus Holzen und lebt seit 1962 in Schliengen. Für sein vielfältiges, jahrelanges ehrenamtliche Engagement wurde der Architekt und Vater von drei Kindern zum Ehrenbürger ernannt und auch mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Mannhardt war langjähriger Gemeinderat, engagierte sich 36 Jahre ehrenamtlich für Schloss Bürgeln, war Vorsitzender der CDU, der Sportfreunde Schliengen, des Geschichtsvereins Neuenburg und des Fördervereins Schloss Entenstein. Auch als Vizepräsident des Markgräfler Tanzsportclubs in Müllheim und bei den Hebelfreunden in Hertingen setzte er sich stark ein.

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