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Schopfheim Bis an den Rand des Wahns

Markgräfler Tagblatt
Eine beeindruckende Figurenstudie des jungen Werther zeigte Benjamin Krüger zur Saisoneröffnung in der Stadthalle in Goethes dramatisiertem Briefroman. Foto: Jürgen Scharf Foto: Markgräfler Tagblatt

Theater: „Die Leiden des jungen Werther“ in der Stadthalle / Viele leere Plätze

Von Jürgen Scharf

Lotte und Werther: Das könnte eine Liebesgeschichte von heute sein, die beiden könnten sich statt Briefe auch E-Mails schicken.

Schopfheim. Aber so weit geht die Bühnenfassung von Goethes Briefroman „Die Leiden des jungen Werther“ , die nach einer Inszenierung des Meininger Theaters jetzt in der Stadthalle zu sehen war, denn doch nicht.

Zwar tragen die Protagonisten Kleidung unserer Zeit – T-Shirt, lässige Hose und wechselndes Schuhwerk, aber die Sprache ist originaler Goethe. Ganz radikal modernisiert hat Tobias Rott seine Adaption der Prosa von Goethe nicht.

Was in den Kulturteilen schon seit Jahren kontrovers und bisweilen polemisch diskutiert wird, ist von den Spielplänen der Theater nicht mehr wegzudenken: Die Dramatisierung von Romanen. Immer neue Romane kommen auf die Bühne wie dieser „Werther“. Nicht alle dieser Bühneneinrichtungen in dem Genre Literaturtheater überzeugen und funktionieren so gut wie dieses Drei-Personen-Schauspiel.

In Schopfheim erlebte ein sehr ausgedünntes Abo-Publikum – dass die Darsteller vor vielen leeren Rängen spielen mussten, war fast schon blamabel – einen wirklich gelungenen Versuch der Dramatisierung für die Bühne.

Die Leiden des jungen Werther wurden als Theaterstück beinahe schon zu Gegenwartsdramatik. Das hängt zum einen mit der sparsamen, nüchternen Bühne (Alexandra Hahn) zusammen, eine moosgrüne Kulissenwand, ähnlich wie die Kleidung des Hauptdarstellers. Die Wände werden wie Schiefertafeln benutzt, um die Daten der Briefe mit Kreide hinzuschreiben.

Die kleine Spielfläche wirkt etwas verloren auf der großen Stadthallenbühne, wird aber durch intensives Spiel ausgefüllt. Zum anderen lag der gelungene Eindruck bei dem Hauptdarsteller Benjamin Krüger, der auf breiter Front überzeugte, wenn er sich die Seele aus dem Leib spielt.

Krüger ist wirklich ein junger Wilder, mit unbändiger Energie, der sich in seinem Gefühlsleben verzehrt, in einer Verbindung von Weltschmerz und Wahnsinn, ein Mensch in seinem Widerspruch, der leidet und scheitert.

Schlichtweg sensationell, wie er sowohl den Frühling als auch den Winter in der Natur und in Werthers Seele darstellt. Nicht nur, dass er wie ein Hund leidet an seiner unerfüllten Liebe zu Lotte – er schwärmt, glüht, liebt, tobt, verzweifelt, und das geht bis an den Rand des Wahns und Rauschs.

Benjamin Krüger schreit seine Gefühle geradezu heraus in einer sehr intensiven Interpretation dieses jungen Mannes, der sich ständig mit Selbstmord beschäftigt und dann auch zur Pistole greift. Erschießt er sich wegen seiner unglücklichen Liebe zu Lotte?

Hebbel urteilte über Werthers Selbstmord anders: Werther erschießt sich nicht, weil er Lotte, sondern weil er sich selbst verloren hat. Und genauso verkörpert Krüger diesen tragischen Sturm- und Drang-Helden. Darstellerisch beeindruckend, wie er alle Qualen und sein „inneres unbekanntes Toben“ voll und leidenschaftlich ausspielt; gleich zu Beginn, zu leisem

Trauermarsch von Beethoven halbnackt, nur mit Boxershorts bekleidet, schmächtig gegenüber Albert, dem Verlobten von Lotte (ein Hüne dagegen: Peer Roggendorf), mit dem er ein Gespräch über Selbstmord führt. Dabei spricht dieser Werther so deutlich, kraftvoll und laut, dass er die neue Mikrofonanlage in der Stadthalle gar nicht nötig gehabt hätte.

Aufgelockert wird die Szene durch poppige, disko-hafte Tanzeinlagen zwischen Werther und Lotte (Anna Oussankina als „liebstes Geschöpf unter der Sonne“, mit kurzem Röckchen, Gummistiefeln, Blümchen malend und Apfel essend: eine sündige Metapher aus dem Paradies) sowie durch Schlagermusik von Alexandra bis Udo Jürgens.

Ergreifend, fast sakral, die Schlussszene in Werthers Todesstunde. Eigentlich sollte diese sehr dichte und konzentrierte Inszenierung das Publikum pausenlos in seinen Bann ziehen, doch in Schopfheim war die Pause vom Veranstalter gewünscht, wobei die Unterbrechung nicht nur dem Ensemble sehr weh, sondern auch dem Stück nicht gut getan hat.

Viel Beifall für eine überzeugende schauspielerische Leistung bei dieser modernen, jugendlich erfrischenden und flotten Klassiker-Inszenierung, die durchaus für ein junges Publikum geeignet war, das man aber im Saal so gut wie nicht sah.

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