Schopfheim Dem Vergessen Steine in den Weg legen

Markgräfler Tagblatt
Der Stolpersteine-Aktionskünstler Gunter Demnig mit einer historischen Fotografie, die Bella Auerbacher mit den Kindern ihrer Schwester zeigt. Foto: Jürgen Scharf

Vortrag: Künstler Gunter Demnig über sein weltweit beachtetes „Stolperstein“-Projekt

Am Vorabend der Stolpersteine-Verlegung in der Altstadt sprach der Künstler Gunter Demnig in der Alten Kirche über seine Aktion, die dem Vergessen Steine in den Weg legt.

Von Jürgen Scharf

Schopfheim . Flächenmahnmal oder Kunstprojekt? Wie steht der Berliner Künstler Gunter Demnig selber zu seinen Stolpersteinen? Diese Frage stellte sich bei seinem Vortrag in der gut gefüllten Alten Kirche St. Michael.

Der einzelne Stein, so Demnig, sei ja nicht das Kunstwerk, sondern einem Hinweisschild oder einer an die Hauswand angebrachten Gedenktafel ähnlich. Als Aktion eines Künstlers ist es aber Erinnerungskunst.

In dem Zusammenhang erinnert Demnig an die soziale Plastik von Joseph Beuys als erweiterten Kunstbegriff. Das trifft auch auf die Stolpersteine zu, die an das von Beuys propagierte Kunstkonzept anschließen. So gesehen sei sein Projekt ein „Gesamtkunstwerk“.

Auf Anregung der Initiative „Stolpersteine Wiesental“ ließ Demnig am Mittwoch in der Wallstraße 5 die drei ersten Gedenktafeln aus Messing in Erinnerung an jüdische Opfer der NS-Zeit in das Kopfsteinpflaster ein – für Bella, Wilhelm und Melitta Auerbacher, die in diesem Haus gelebt haben (wir berichteten).

Heute wohnt Grünen-Stadträtin Marianne Merschhemke, Mitbegründerin und Sprecherin der Stolperstein-Initiative gegen das Vergessen, in diesem Haus.

„Stolpersteine – Spuren und Wege“ war Demnigs Vortrag überschrieben, dem auch Ronny McMurray, ein Nachfahre der Familie Auerbacher beiwohnte, der eigens aus Israel angereist war. Feierlich umrahmt wurde der Abend an der Orgel von Cornelius Holdermann mit Werken von Frescobaldi, Händel und Reminiszenzen an Klezmer und jüdische Lieder.

Der Künstler sprach aber nicht nur über die Erinnerungskultur an sich, sondern in weiten Teilen anhand von Diaprojektionen über seinen künstlerischen Werdegang. Er hat Kunstgeschichte studiert, als Maler angefangen, sich dem Möbeldesign (Industrial Design) zugewandt, ist mit Aktionskunst und Land Art in Erscheinung getreten und realisierte Arbeiten im öffentlichen Raum. Bei einer Überfahrt nach New York machte er eine Flaschenpost-Aktion und auf deutschen Straßen hinterließ er verwehte Kreidespuren.

1992 wurde die Idee zu den Stolpersteinen geboren. Er wisse gar nicht mehr, wie er auf den Titel „Stolpersteine“ gekommen sei – ein Wort, das sich in andere Sprachen nur schwer übersetzen lässt.

Demnig sah die Steine zuerst als ein konzeptuelles Kunstwerk an und dachte nicht an eine Umsetzung. Und manche Städte, berichtet er, legten ihm für seine Aktion auch Stolpersteine in den Weg.

Die Anfänge, so Demnig, der zunächst Tafeln an die Wände schrauben wollte, waren schwierig. Gab es doch Bedenken, die Stolpersteine seien zu gefährlich. Er konnte aber beruhigen: „Man fällt nicht hin, man stolpert mit dem Kopf und mit dem Herzen.“

Gleichsam bedeutet es auch eine besondere Geste, „dass man eine Verbeugung machen muss, wenn man den Text auf den Steinen lesen will“.

Demnig ging auch auf die ersten Aufträge zum Gedenken ein, die Bodenarbeiten, bei denen er Schrift in Stein geschlagen hat („ohne die gäbe es keine Stolpersteine“) und sich mit Gesetzestafeln beschäftigte.

„Als Künstler“, so sagt er, „arbeitet man mit Symbolen“. Auch für seine symbolischen Stolperstein-Aktionen, die zum Schneeballsystem wurde – so hat er inzwischen 80 000 Steine in 27 Ländern verlegt –, gelte: „Der Weg ist das Ziel“.

Gunter Demnig geht es immer um Spuren sammeln und Spuren legen. Inzwischen stellt er fest, dass das öffentliche Interesse an den Stolpersteinen und die Nachfrage immer größer werden, so dass es schon Wartezeiten gibt.

Seiner Ansicht nach muss die Intention für die Stolpersteine aus den Orten kommen, von Geschichts- und Heimatvereinen, oder wie in Schopfheim von lokalen Initiativgruppen, die sich für diese lebendige Gedenkkultur einsetzen.

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