Schopfheim Dichtender Richter, richtender Dichter

Gudrun Gehr
Referentin Bettina Bethlen inmitten der Bücher, die sie zum ersten literarischen Nachmittag in diesem Jahr im „Café Augarten“ mitgebracht hatte.                                                                                                 Foto: Gudrun Gehr

Schärers Au: Literarischer Nachmittag: Bettina Bethlen stellte Leben und Werk Theodor Storms vor

Zu einem ganz besonderen literarischen Leckerbissen hatte Bettina Bethlen vom Freundeskreis Schärers Au in das Seniorenzentrum eingeladen. Der öffentliche Vortrag mit sehr guter Publikumsresonanz fand innerhalb einer Reihe unterhaltsamer Referate oder Spielenachmittage statt.

Schopfheim. Bettina Bethlen ist in Schärers Au eine gerngesehene Referentin. Die aus dem Raum Hannover stammende Literaturliebhaberin ist Garant für die fesselnde Beschreibung der Viten von Dichtern von Weltruhm, wie bereits bei Hans Christian Andersen oder – im vergangenen Jahr – bei Theodor Fontane geschehen.

In Bettina Bethlens „Repertoire“ befinden sich auch die Biographien von Erich Kästner, Wilhelm Busch oder von den Brüdern Grimm. Nunmehr wünschten die Gäste in Schärers Au den norddeutschen Dichter Theodor Storm näher kennenzulernen; vor drei Jahren jährte sich dessen Geburtstag zum 200sten Mal.

Mit dem „Schimmelreiter“ fing alles an

Darüber hinaus waren die beiden Theodor, also Storm und Fontane, Zeitgenossen, kannten sich persönlich und unterhielten Briefkontakt. Bettina Bethlen eröffnete ihren Vortrag: „Mit der Lektüre des ’Schimmelreiters’ habe ich meine Liebe für Theodor Storm entdeckt.“

Die Lesung ergänzte Tochter Andrea, die mit Originalzitaten aus Werken und Briefen des Holsteiners zur Abrundung des Vortrags beitrug, der zudem mit Lichtbildern unterlegt wurde.

Dichtender Richter oder richtender Dichter? Der in wohlhabenden Verhältnissen als Sohn eines Juristen aufgewachsene Theodor Storm wurde 1817 in Husum geboren, das unter damaliger dänischer Herrschaft stand. Er fand bald Zugang zu Märchen, Sagen oder Gespenstergeschichten. Hier hörte er möglicherweise erstmals andachtsvolle, auf plattdeutsch gesprochene Geschichten vom gespenstischen Reiter.

Sein schriftstellerisches Talent machte sich frühzeitig bemerkbar, er schrieb mit 15 Jahren erste Prosatexte und sein erstes Gedicht „An Emma“. Im Gymnasium in Lübeck lernte er den Dichter und Philosophen Ferdinand Röse kennen, durch den er mit der zeitgenössischen Literatur vertraut wurde. Seine ungewöhnlich lange Studienzeit im Fach Jura erfolgte in Heidelberg, Kiel und Berlin. Auf die spätere Frage, warum er sich für die Jurisprudenz entschied, antwortete Storm: „Es ist dasjenige Studium, das man ohne besondere Neigung studieren kann.“

Liebesgedichte des berühmtesten Sohns von Husum

In Berlin machte er die Bekanntschaft von Theodor und Tycho Mommsen, mit denen er eine Sammlung schleswig-holsteinischer Lieder, Märchen und Sagen zusammentrug. Nach seinem Studium im Jahr 1843 eröffnete er eine Anwaltskanzlei in seinem Heimatort Husum.

Den dänischen König Christian VIII ersuchte Storm um die Zulassung seiner Advokatur, da er als Husumer Angehöriger des dänischen Gesamtstaates war. Auch gründete er in Husum einen Gesangverein. 1846 heiratete er seine Cousine Constanze Esmarch aus Segeberg, aus der Ehe gingen sechs Kinder hervor.

1847 begann Storm eine Liason mit Dorothea Jensen, der Tochter eines Husumer Senators. Hier schrieb er flammende Liebesgedichte. Gegen die dänische Herrschaft entstand in Schleswig-Holstein eine Erhebung. Auch nach dem Friedensschluss von 1850 zwischen Dänemark und Preußen nahm Storm eine unversöhnliche Haltung gegenüber Dänemark ein, weshalb ihm 1852 die dänische Genehmigung seiner Advokatur entzogen wurde. In dieser Zeit entstand sein bekanntestes Gedicht „Die Stadt“, das seinem Heimatort Husum gewidmet war.

1853 erhielt er beim Kreisgericht Potsdam eine unbezahlte Stelle als Volontär. Hier erhielt er Zugang zu den künstlerischen Kreisen in Berlin und traf mit Theodor Fontane zusammen, was Storm sehr bewegte. Ebenfalls machte er Bekanntschaft mit Franz Kugler und Joseph von Eichendorff. Während seiner Assessorenzeit gehörte Storm dem Berliner Dichterclub „Rütli“ an.

Sein Weg führte ihn weiter zu einer Stelle als Richter im thüringischen und katholisch geprägte Heiligenstadt, das damals zu Preußen gehörte. Auch dort gründete er einen Gesangverein und war als Schriftsteller sehr produktiv. Mit Novellen wie „Auf dem Staatshof“, „Drüben am Markt“ oder „Im Schloß“ gelang ihm der Durchbruch zum realisitischen Erzähler. Sein Weg führte ihn nach der Niederlage Dänemarks im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 zurück nach Husum. Dort wurde er Landvogt, Obervormund, Polizeimeister, Kriminal- und Zivilrichter. Humorvoll schrieb er: „Heute habe ich als Landvogt allen möglichen Leuten über alle möglichen Dinge, von denen ich nichts verstehe, gründlich Bescheid erteilt.“

1865 verstarb seine Ehefrau Constanze nach der Geburt der Tochter Gertrud. Seine Trauer verlieh Storm in dem Gedichtzyklus „Tiefe Schatten“ Ausdruck, einem der meistgelesenen Werken von Storm. 1866 heiratete er die 38-jährige Dorothea Jensen, mit welcher ihn in seinen jungen Jahren eine leidenschaftliche Beziehung verbunden hatte. Aus der Ehe ging eine Tochter hervor.

Zum Abschluss gab’s Theodor-Storm-Punsch zum Kosten

Er begründete im Mai 1880 in Hademarschen seinen Alterswohnsitz, wo zahlreiche Novellen entstanden.

Im April 1888 erschien die wohl bekannteste Novelle „Der Schimmelreiter“, die vielen Schülern noch heute als Lektüre dient und auch mehrfach verfilmt wurde. Im Juli 1888 verstarb er an Magenkrebs.

Theodor Storm gilt als einer der bedeutendsten deutschen Vertreter des poetischen oder bürgerlichen Realismus. Bettina Bethlen und ihre Tochter Andrea erhielten von den Gästen langen Applaus.

Die Referentin lud zum Abschluss des literarischen Nachmittages nicht nur zu Kaffee und selbstgebackenem Kuchen ein. Ein besonderes und gerne gekostetes Mitbringsel bildete ein aus Husum importierter Theodor-Storm-Punsch für die Gäste.

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