Schopfheim Doppelmoral und Duckmäusertum

Markgräfler Tagblatt
Von Mitläufern und Wendehälsen: Mit Ibsens „Volksfeind“ gelingt der Spielbühne eine eindrucksvolle Aufführung. Foto: Anja Bertsch Foto: Markgräfler Tagblatt

Von zeitloserGültigkeit: Spielbühne feiert Premiere mit Ibsens „Volksfeind“ im Museumskeller

Von Anja Bertsch

Schopfheim. Ein Stück über Doppelmoral und Duckmäusertum, Gemeinwohl und gemeinen Opportunismus bringt die Spielbühne derzeit mit Henrik Ibsens „Der Volksfeind“ auf die Bühne des Museumskellers.

Wenngleich von dem norwegischen Schriftsteller bereits im Jahr 1882 zu Papier gebracht, hat das gesellschaftskritische Stück absolut nichts Angestaubtes an sich, sondern bringt Themen aufs Tapet, die ohne weiteres im Hier und Jetzt angesiedelt sein könnten.

Das gilt allein schon für den inhaltlichen Aufhänger – eine Umweltverschmutzung, deren Beseitigung eine Menge Geld und Arbeitsplätze kosten würde. Das gilt ebenso jedoch für die grundlegenden sozialen Mechanismen, die in dem Stück ihre Dynamik entfalten: Macht der Mehrheit und Mitläufertum, die Verquickung von ganz persönlichen Interessen und weit ausgreifenden gesellschaftlichen Fragen, der Kampf um Wahrheit und Deutungsmacht.

Der Kurarzt Dr. Tomas Stockmann (Gerhard Abt) entdeckt, dass das Kurbad in seiner kleinen norwegischen Vaterstadt - „Lebensquell der Stadt“ und „wichtigste Einnahmequelle“ - eindeutig gesundheitsschädigend ist“.

Mitschuld an der Verschmutzung trägt die Gerberei von Morten Kill (Hermann Tittel). Ganz erfüllt von der Bedeutung der eigenen Entdeckung, ist der Arzt sich der Huldigung der ganzen Bürgerschaft gewiss: Groß an die Presse muss das Ganze, die Stadtvorsteherin - seine eigene Schwester Pia (Edith Ganter) – wird’s ihm danken, und womöglich gelingt sogar der Einstieg in die hohe Lokalpolitik.

Von der „freien Presse“ –verkörpert durch Redakteurin Hovstadt (Judith Klesinski) und Mitarbeiterin Billing (Marianne Tittel) – bekommt der Enthüller zunächst Rückendeckung. Insbesondere die Redakteurin wittert die Chance, den Großkopferten

Den Großkopferten an den Karren fahren

an den Karren zu fahren. „Wir stehen am Beginn einer Revolution!“, ruft sie.

Selbst Verlegerin Aslaksen (Susanne Kita) lässt sich vom freiheitlich-revolutionären Furor mitreißen: „Wir sollten demonstrieren, ein wenig zumindest..“ Derart bestärkt, suhlt sich Stockmann in der vermeintlichen Zustimmung der Masse: „Die freie Presse vor mir, und hinter mir die geschlossene Mehrheit – was kann da schief gehen?“, so die rhetorische Frage.

Einiges – dann nämlich, wenn freie Presse und mächtige Mehrheit plötzlich ganz woanders stehen. Denn auf einmal sind die Frontverläufe gar nicht mehr so eindeutig, wie eben noch angenommen, und hinter dem Rücken des Kurarztes formieren sich die Truppe dank zahlreicher Überläufer ganz anders als gedacht.

Treibende Kraft ist Stadtvorsteherin Pia Stockmann: Sie führt die Kosten ins Feld, die die Enthüllungen ihres Bruders „verursachen“, und die Arbeitsplätze, die das kostet – Argumente, die die Loyalitäten von Volkspresse und der Bürgerschaft (verkörpert durch Andreas Vaith) plötzlich ganz anders verteilen.

So wird das Publikum Zeuge bröckelnder Loyalitäten, verfolgt die Abwägung von Geld gegen Moral, sieht zu bei der Suche nach der passenden unter einer Vielzahl von Wahrheiten und verfolgt die Gewichtung von kleinem eigenen Vorteil und Fürsorge für die eigenen Nächsten gegen das großes Allgemeinwohl und die Verantwortung für andere.

Ein lupenreiner Wendehals ist in diesem Prozess

Jeder findet Gründe für den Frontwechsel

keiner - ein jeder findet seinen Grund, um den Frontenwechsel zu rechtfertigen. Und waren es am Anfang „die da oben“ gegen „die da unten“, so sind nun auf einmal alle vereint gegen den „Volksfeind“, der das eigene kleine Städtchen in den Ruin treiben will.

Am Ende ist der Arzt selbst ruiniert – sozial geächtet, sein Heim zerstört und der Job gekündigt. Einzig seine Familie hält ihm die Stange – Gattin Katrine (Magda Brase) und Tochter Petra (Conny Yeoman) sowie der aufrechte Kapitän Horster (Josef Wachs). Doch weil diese nun eben auch nicht mehr zur mächtigen Mehrheit gehören, werden sie ebenso ausgeschlossen aus dem sozialen Gefüge der Stadt.

Die Akteure der Spielbühne bringen die einzelnen Charaktere überzeugend auf die Bühne und ziehen das Publikum mit hinein in den je eigenen Zwiespalt. Am Ende dürfen die Zuschauer sogar selbst mit abstimmen: Volksfreund oder Volksfeind? Das Ergebnis ist keineswegs eindeutig....

Weitere Informationen: Weitere Vorstellungen: 6./7./8./13./14./15./ 18./20./21./22. März; Beginn ist Mittwoch, Freitag und Samstag um 20 Uhr; sonntags um 19 Uhr; Vorverkauf bei der Regio Buchhandlung

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