Schopfheim Ein Stadtrechner, der Geld drucken ließ

Markgräfler Tagblatt
Ein Berufsleben in schicksalsschweren Zeiten: Johann Hirling. Foto: Hans Hirling, Sindelfingen Foto: Markgräfler Tagblatt

Vortrag: Klaus Strütt erinnert an Bürgermeister Johann Hirling, der nahezu in Vergessenheit geraten ist

Es werde bestimmt ein schwer zu verstehender Vortrag, meinte ein Gast im „Café Augarten“ zu Referent Klaus Strütt, der das Leben Johann Hirlings, des früheren Stadtrechners und späteren Bürgermeisters der Stadt Schopfheim, im Zeitgeschehen von 75 Jahren beleuchtete.

Schopfheim. Es wurde aber ein kurzweiliger Nachmittag, denn Strütt führte die Zuhörer aus der Zeit der Monarchie, in die Hirling in Radolfzell hineingeboren wurde, bis ins Jahr 1948.

Hirlings berufliche Laufbahn als Sparkassenmann führte ihn 1916 über Pforzheim nach Schopfheim. In dieser Zeit herrschte Krieg, und vieles konnte nicht mehr geordnet verwaltet werden. Dem Referenten gelang, im Vortrag zu verdeutlichen, welche Rahmenbedingen in der Markgrafenstadt für den

„Man hat den Mann leider nahezu vergessen“

neuen Stadtrechner herrschten. Nicht einmal eine Schreibmaschine gab es, und die wollte man ihm damals auch nicht bewilligen. „Es ging bisher auch ohne“, meinte der Gemeinderat.

Arbeitsrückstände arbeitete Hirling auf, er übernahm auch die Kassenführung und Leitung der Sparkasse, da der Sparkassenleiter zum Militär musste. Das Krankenhaus, das 1916 eingeweiht wurde, machte zusätzlich erhebliche Arbeit, die - so meinte Hirling selbst - nur mit täglich zwölf Arbeitsstunden zu bewältigen war.

Man muss sich vorstellen, dass er ohne irgendeine Hilfskraft auskommen musste. Erst als er auch noch das Gaswerk mit der Wasserversorgung übernahm, bekam er den dort arbeitenden Mitarbeiter zur Hilfe. Der Krieg war zu Ende, die Zeit der jungen Weimarer Republik war schwer, es galt die Geldentwertungen bis zur Hyperinflation 1923 zu bewältigen. Die Stadt druckte Geld, der Stadtrechner ließ entgegen der Anordnungen jedoch mehr als erlaubt drucken.

Mit Devisen, die die Stadt dadurch erwarb, baute sie Häuser an der Roggenbach- und Schlierbachstraße. Eine gewaltige Leistung. Hirling kaufte auch Gegenstände fürs Krankenhaus ohne Einwilligung des Bürgermeisters. Dem Chefarzt gefiel dies, dem Bürgermeister weniger.

Strütt schilderte auch die Arbeiterunruhen mit der Erstürmung des Rathauses 1923. Die gewaltige Arbeitslosigkeit, der totale Wertverlust des Geldes, Hunger und Suppenküchen und der Beginn des „Dritten Reiches“ führte in das dritte Staatswesen, in dem Hirling tätig war. Den Nationalsozialisten war der Stadtrechner nicht angenehm, man wollte ihn entlassen. Es gelang jedoch nicht. Hirling überstand das „Dritte Reich“, ohne dass er der Nazi-Partei je beigetreten wäre. Bereits im Mai 1945, die Franzosen waren wenige Tage zuvor in der Stadt eingezogen, wurde Hirling durch diese zum Bürgermeister der Stadt ernannt.

Es gelang dem Referenten, die schwere Nachkriegszeit mit Lebensmittelbeschaffungen, Heizmaterialbeschaffungen und Unterbringung von Flüchtlingen ebenso spannend darzulegen wie die fast unheimlichen Aufgaben zur Unterbringung der Besatzungssoldaten. Teilweise mussten für diese fast 1000 Personen mit Wohnraum versorgt werden. Beschlagnahme von Wohnungen und Gasthäusern folgte.

Die Lebensleistung von Johann Hirling kam in dem einstündigen Vortrag überdeutlich zum Ausdruck. Hirling war beliebt und ausgleichend. Bürgermeister blieb er bis zur Wahl 1948, bei der er nicht mehr kandidierte.

Der Vortrag zeigte allerdings auch, dass in Schopfheim heute nichts mehr an diesen Mann erinnert. „Man hat ihn leider nahezu vergessen“, so Strütt. Es würde der Stadt nicht schaden, so war auch aus den Zuhörerreihen zu hören, eventuell „eine Straße nach ihm zu benennen“.

Verdient hätte dieser Mann, der 32 Jahre im Dienste der Stadt stand, diese Ehrung, hieß es beim Vortrag in Schärers Au.

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