Schopfheim Hommage an eine außergewöhnliche Frau

Jürgen Scharf

Erinnerungskultur: Lesung und Vortrag zu Margot Friedländer im Museumskeller

Von Jürgen Scharf

Schopfheim. Nach diesem Vortrag herrschte im Publikum betroffenes Schweigen. Die 60 Zuhörer mussten das Gehörte erst einmal verarbeiten, bevor sich Fragen und Kommentare herauskristallisierten. Denn das Schicksal von Margot Friedländer, einer der letzten jüdischen Zeitzeuginnen des Holocaust, die Anfang November 101 Jahre alt geworden ist, nimmt einen mit.

Diese bewegende Vita verdient es, einem breiteren Publikum näher gebracht zu werden, wie das die Basler Psychoanalytikerin Regine Mahrer und ihre Hausener Kollegin Susanne Kita im Museumskeller gewagt haben. Der für ein kulturelles Publikum neu aufbereitete Fachvortrag war sehr anspruchsvoll und psychologisch tiefgehend. Ging es doch um Frauen auf der Flucht, die untergetaucht sind, um das Verlassen der Heimat und Identitätsverlust am Beispiel der 1921 in Berlin geborenen gelernten Modezeichnerin Margot Friedländer.

Ihre Familie, Vater, Mutter und Bruder, wurden in Auschwitz ermordet, sie selber 1944 nach Theresienstadt deportiert, das die Russen ein Jahr später befreiten. 2008 schrieb Margot Friedländer ihre Memoiren „Versuche, dein Leben zu machen“. Unter diesem Titel stand die „Hommage an eine außergewöhnliche Frau“, bei der Mahrer das Referat hielt, die Rahmenerzählung und Zwischentexte las, und Kita aus der Autobiografie Passagen vortrug, große Textzitate frei rezitierte, ergänzt durch Aussagen aus Gesprächen mit der Holocaust-Überlebenden. Als erfahrene Schauspielerin der Spielbühne Schopfheim verstand Kita es, diese Texte emotional herüberzubringen.

Regine Mahrer, deren jüdischer Ehemann ein Freund Friedländers ist, lernte die alte Dame persönlich kennen und beschreibt sie von Begegnungen in Berlin und Basel als eine „kleine, zierliche, immer sorgfältig gekleidete Frau“, die eine Person des öffentlichen Lebens geworden sei. Die Gespräche mit ihr und die Lektüre der Biografie motivierten Mahrer, von dem zu erzählen, was sonst nicht in der Zeitung über sie steht.

Von Identitätsverlust, Ausgeliefertsein und Widerstandskraft

Dazu wollten die beiden Psychoanalytikerinnen auch Überlegungen mitteilen, wie ein Weiterleben möglich war nach solchen traumatischen Erfahrungen und Verletzungen, und mit der Lesung auch dazu beitragen, Lücken in der Frauengeschichte auszufüllen. Denn immer noch erlitten Frauen Gewalt, Verfolgung, Trennung und Diskriminierung.

Ausgesucht wurden hauptsächlich Buchausschnitte aus der Zeit, in der die in einer großbürgerlichen Familie aufgewachsene Margot Friedländer völlig allein auf sich gestellt „illegal“ untertauchen und sich vor der Gestapo verstecken musste. Vier der Untergrund-Stationen haben die beiden Referentinnen herausgegriffen und Friedländer davon erzählen lassen.

Man erfuhr von ihrem Ausgeliefertsein, ihrer Abhängigkeit, ihrer Angst vor dem Gefasstwerden, ihrer Einsamkeit, Geduld und Selbstdisziplin. Nicht immer waren die Helfer seriös, manche erwarteten von der hübschen jungen Frau in ihrer misslichen Situation Gegenleistungen: Arbeit, Geld oder Sex.

Aber eine Tür fiel zu und eine andere tat sich auf. Ein Leben in einem Versteck ging zu Ende, ein anderes fing an. Dabei half Margot Friedländer das, was ihre Mutter ihr als Lebensmotto mitgegeben hatte: „Versuche, dein Leben zu machen.“

Mahrer und Kita hoben den Überlebenswillen der bekanntesten noch lebenden Zeitzeugin der Shoa hervor, ihre unglaubliche Energie und Widerstandskraft und ihren Appell: „So etwas darf nie wieder passieren!“. Das gab Margot Friedländer auch mehrere Jahre lang Schülern mit, denen sie aus ihrem Buch vorlas. Dieses hatte sie erst nach dem Tod ihres Mannes, 60 Jahre nach den Geschehnissen, zu schreiben angefangen.

Regine Mahrer und Susanne Kita ist es wichtig, diese Lebensgeschichte weiterzugeben im Zuge der Erinnerungskultur. Die anschließende Diskussion wurde von dem Basler Publizisten, Autor und Filmemacher Gabriel Heim moderiert, der Friedländer persönlich kennt und mit ihr zusammengearbeitet hat. Er hatte auch die einleitenden Worte gesprochen und das Thema umrissen.

Die Vortragenden bekamen ein schönes Feedback: Viele Besucher haben sich emotional mit dieser mutigen Frau identifiziert.

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading