Schopfheim „Ich brauche noch ein bisschen Zeit“

Petra Martin und Werner Müller

Interview: Bürgermeister Dirk Harscher zieht Bilanz seiner ersten 100 Tage im Amt.

Schopfheim - Vom strahlenden Wahlsieger zum Stadtoberhaupt: Bürgermeister Dirk Harscher ist jetzt ziemlich genau 100 Tage im Amt. Im Gespräch mit unserer Zeitung schildert er, wie sich sein Leben seit dem Dienstantritt im Rathaus verändert hat und wie er die großen Herausforderungen bewältigen will. Die Fragen stellten Petra Martin und Werner Müller.

Frage: Herr Harscher, Sie sind jetzt seit knapp 100 Tagen Bürgermeister – wie sehr hat sich Ihr persönliches Leben seit dem Amtsantritt verändert?

Es hat sich spürbar verändert. Ich hatte in meinem früheren Beruf schon viele Termine, jetzt sind es aber noch viel mehr. Vor allem sind sie meistens abends, manchmal drei, manchmal bis zu fünf in einer Woche. Das ist schon sehr geballt, auch wenn es Wochen gibt, in denen man Luft schnappen kann. Dafür gibt es dann andere, die sind von Montag bis Samstag voll. Aber ich habe ja gewusst, dass es so sein wird.

Frage: Beobachten Sie auch, dass man Sie persönlich anders wahr nimmt als früher?

Ja. Wenn ich auf der Straße unterwegs bin, grüßen mich viele, auch mit „Guten Tag, Herr Bürgermeister“. Das ist schon ein komisches Gefühl. Ich merke dabei, dass es vor allem solche Menschen sind, die Zeitung lesen und sich mit der Kommunalpolitik beschäftigen. Es ist auch ein schönes Gefühl.

Frage: Sie waren vor Ihrem Wahlsieg Teamleiter bei der VR-Bank – was ist der größte Unterschied zu Ihrer neuen Aufgabe?

Der größte Unterschied ist: Die Themen sind viel komplexer und decken ein viel breiteres Spektrum ab. In der Bank ging es nur um das Thema Finanzen. Bis ein Projekt über den Schreibtisch gegangen ist und der Kunde zufrieden war, hat es nur wenige Tage gedauert. Hier im Rathaus reden wir von Monaten, wenn nicht sogar von Jahren. Es gibt zwar Dinge, die kann man sofort umsetzen, aber es gibt auch komplexe Prozesse, die dauern ewig, vor allem wenn noch andere Behörden beteiligt sind. Es gibt hier kein Standardgeschäft, alles ist individuell. Das ist der große Unterschied. Da muss ich auch noch Geduld lernen. Hinzu kommt die Vielfalt der Themenbereiche, vom Sozialen über den Bausektor bis hin zum Ordnungsamt. Diese Bandbreite ist schon sehr spannend.

Frage: „Stark für Schopfheim“ lautete Ihr Wahlkampfmotto. Wie stark konnten Sie in den ersten drei Monaten die Stadt schon machen?

Viele Sachthemen sind ja vorgegeben, große Projekte sind erst einmal abzuwickeln. Stichwort: Schulcampus. Der Gemeinderat muss Vertrauen haben, dass es richtig in die Gänge kommt und wir die Kosten im Griff haben. Oder bei der Scheffelstraße, wo wir zum Glück eine Lösung gefunden haben. Die Anwohner haben sich meiner Meinung nach zurecht beklagt, sie sind wohl nicht richtig informiert worden. Bei solchen Projekten ist es wichtig, dass man auf kurzem Weg Kontakt aufnimmt und die Betroffenen mit einbindet.

Frage: Was war für Sie bislang die größte Herausforderung?

Die größte ist, sich in diese neue Materie einzuarbeiten. Im Moment ist es einfach so, dass ich ständig mit den Fachbereichsleitern spreche, weil die definitiv ein viel breiteres Wissen haben. Da muss ich mich auf sie verlassen können – und das kann ich auch. Die Schwierigkeit ist, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel mitzukriegen. Ich bin es nicht gewohnt, Entscheidungen zu treffen zu Themen, in denen ich mich nicht hundertprozentig sicher fühle. Das ist im Moment die größte Herausforderung. Es wäre gelogen zu behaupten, ich hätte jetzt schon den großen Überblick.

Frage: Wie sehen Sie nach den ersten 100 Tagen Ihre Rolle als Bürgermeister – als Moderator oder doch eher als derjenige, der die Richtung vorgibt?

Ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit. Viele Dinge sind zwar vorgegeben – der Haushalt 2109 steht zum Beispiel, da kann man nichts mehr ändern. Bei der Haushaltsplanung 2020 kann man sicher versuchen, ein paar Impulse zu setzen. Im Moment bin ich noch Moderator, aber es fällt mir schwer. Ich muss so langsam den Dingen meinen Stempel aufdrücken. Ich merke, nur mit schönen Reden oder Moderationsthemen kommt man nicht weiter. Ich muss sagen, wo es lang geht, das werde ich in absehbarer Zeit auch tun. Aber im Augenblick muss ich mir einfach noch ein breiteres Wissen aufbauen.

Frage: Tagtäglich stürzt viel Neues über sie herein – wie versuchen Sie, den Überblick zu behalten und Prioritäten zu setzen?

Ich bin gut strukturiert, mit einer funktionierenden Wiedervorlage, und ich habe in meinem E-Mailsystem eine Ordnerstruktur geschaffen, die es mir ermöglicht, alles nachzuvollziehen. Außerdem habe ich jede Woche einen festen Gesprächstermin mit der Runde der drei Fachbereichsleiter und zusätzlich noch einen weiteren festen Termin mit jedem einzelnen von ihnen. Da kann ich die Themen des jeweiligen Fachbereichs noch einmal unter vier Augen mit den Verantwortlichen erörtern. Ursprünglich wollten wir das nur im ersten Quartal so handhaben, mittlerweile haben wir es ausgedehnt – ich gehe davon aus, dass wir das auf jeden Fall noch bis Ende dieses Jahres so weiter machen. Ansonsten hangele ich mich an den Hauptthemenfeldern entlang – Ärzteversorgung oder auch Stadtplanung und Stadtentwicklung. Die will ich spätestens mit dem neuen Gemeinderat auf den Weg bringen. Mir schwebt ein Zehnjahresplan vor: Wie sieht die Stadt im Jahr 2030 aus? Was müssen wir tun bei der Seniorenbetreuung und bei den Kindergärten? Wie können wir die Innenstadt attraktiver machen?

Frage: Es gibt in Schopfheim viel zu tun. Trotzdem wollen Sie auch noch für den Kreistag kandidieren. Sehen Sie da nicht die Gefahr, dass es für Sie in Ihrer ersten Amtszeit zu viel wird?

Da ist vielleicht was Wahres dran. Ich habe mich trotzdem zur Kandidatur entschieden, weil ich glaube, dass es mir etwas bringt – kurze Wege zum Landratsamt und zu den Bürgermeisterkollegen, eine gute Vernetzung. Natürlich wird es sehr, sehr intensiv sein. Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich zum Zeitpunkt der Kandidatur für den Kreistag schon drei Jahre im Amt gewesen wäre. Ich bin auf acht Jahre gewählt, der neue Kreistag besteht fünf Jahre -– so lange zu warten, wäre für mich wieder zu spät gewesen. Ich muss da halt jetzt einfach Gas geben, ich bin ja noch einigermaßen jung.

Frage: Sie sind Schopfheimer durch und durch und hier auch persönlich tief verwurzelt. Als Bürgermeister müssen Sie aber, unabhängig von privaten Bindungen, vor allem das übergeordnete Ganze sehen, Wie schwer fällt es Ihnen, jetzt auf einmal auf Distanz zu gehen beziehungsweise Distanz zu wahren?

Das ist eine sehr berechtigte Frage. Es ist ein Spagat. Die Stadtinteressen gehen ganz klar vor Einzelinteressen, egal ob das jetzt Bekannte, Verwandte oder Freunde sind. Das muss man sauber trennen. Wenn man irgendeinen bevorzugt, wird schnell eine Lawine daraus. Ich habe derzeit so ein Thema, mit dem ich mich schwer tue. Da werde ich mit großer Wahrscheinlichkeit den Weg so gehen – Stadtinteresse kommt vor Einzelinteresse. Es wird nicht der einzige Fall bleiben, dass es jemand versucht, den man kennt. Aber da muss man eine klare Linie haben, sonst kommt man in Konflikte. Das ist gefährlich, dessen bin ich mir bewusst.

Frage: Wenn wir Sie nach Ablauf Ihres ersten Amtsjahrs wieder zum Interview treffen – was wollen Sie bis dahin auf jeden Fall erreicht haben?

Ich hätte gerne, dass der Schulcampus bis dahin auf einem sehr transparenten Weg ist. Das ist ein großes Ziel. Ein weiteres ist, dass wir bis dahin mit der Ärzteversorgung ein Stück weiter gekommen sind. Ich habe schon Termine vereinbart mit Kollegen in Lauchringen und in Schramberg, wo wir gemeinsam mit dem Gemeinderat Ärztehäuser besichtigen. Für unser Gutachten haben wir nach der Vorstellung in der Stadthalle viel Kritik kassiert. Die Menschen waren enttäuscht. Jetzt geht es darum, konkrete Schritte einzuleiten und Gespräche mit den Ärzten zu führen.

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