Schopfheim Kanzler-Duell in Kleinmachnow

Lars Halter

Bundestagswahl: In der Partnerstadt kämpfen Olaf Scholz und Annalena Baerbock ums Direktmandat.

Schopfheim/Kleinmachnow - Spannender als in Kleinmachnow ist der Bundestagswahlkampf wohl nirgendwo: Ausgerechnet in der Partnerstadt von Schopfheim stehen sich zwei der drei Hauptkonkurrenten um das Kanzleramt im direkten Duell gegenüber – Olaf Scholz von der SPD und Annalena Baerbock von den Grünen.

Der Wahlkampf geht in die heiße Phase. Und weil es so heiß ist, fast 30 Grad und strahlender Sonnenschein, geht Olaf Scholz ins Freibad „Kiebitzberge“. Scholz ist gut gelaunt. Am Morgen sehen ihn aktuelle Umfragen klar auf Kurs ins Kanzleramt, die Zustimmung ist mehr als doppelt so hoch wie bei Annalena Baerbock und Armin Laschet.

Für den Moment aber ist die große Politik weit weg. Viel wichtiger als Washington oder Moskau ist die Umwälzpumpe des Freibads. Scholz lässt sich vom Schwimmmeister die Technik erklären. Er verlangt auch nach Zahlen: Kosten, Umsatz, Aufwendungen. Ab und an kommt jemand in Badehose vorbei, um seine Hand zu schütteln. Eine ältere Dame fällt dem Kandidaten fast um den Hals. In letzter Sekunde fällt ihr ein, dass ihr Badeanzug ganz nass ist und außerdem Abstandsregeln einzuhalten sind – aber sie mag ihn halt. Schon seit sie ihn aus Hamburg kennt.

Ins Wasser geht Olaf Scholz nicht. Obwohl er natürlich schwimmen kann, sogar einmal Rettungsschwimmer war. Und deshalb ist er auch hier, weil Deutschland mehr Freibäder braucht und wieder mehr Kinder schwimmen lernen sollen. In Kleinmachnows Nachbarstadt Teltow will man eine Schwimmhalle bauen, man hofft auf Unterstützung von ganz oben, von Bundeskanzler Scholz, so er’s denn wird.

Doch hätte der zwischen Regierungsalltag und Weltpolitik wirklich noch Zeit für den Wahlkreis? Bürgermeister Michael Gruber, immer ganz nah bei Scholz auf dem Weg durchs Freibad, ist optimistisch: „Olaf Scholz war schon dreimal in Kleinmachnow“, sagt er. Zwei weitere Besuche seien geplant.

Scholz selbst macht auch klar, wie sehr ihm der Wahlkreis am Herzen liegt. „Alle werden mich hier immer treffen“, sagt er, „auch zu ganz kleinen Gesprächen mit engagierten Bürgern, mit Unternehmen, mit Handwerksbetrieben.“ Den Spagat zwischen Regierungsamt und Lokalpolitik habe er immer gemeistert. Auch heute: Im Schwimmbad habe er wieder einmal erkannt, dass der Bund die Kommunen mehr fördern müsse – für ihn eine Priorität: „Ich kann Kanzler, und ich kann Kleinmachnow.“

Nirgendwo ist der Wahlkampf so heiß wie in Kleinmachnow. Die Schopfheimer Partnerstadt gehört zum Wahlkreis 61, und der schreibt gerade Geschichte. Zum ersten Mal überhaupt treten zwei Kanzlerkandidaten in einem Wahlkreis gegeneinander an: Annalena Baerbock und Olaf Scholz – hier lachen sie nicht nur als potenzielle Regierungschefs von den Wahlplakaten, sondern auch als lokale Direktkandidaten. Polit-Prominenz bieten auch die übrigen Parteien auf: die CDU schickt ihre ehemalige Brandenburger Partei- und Fraktionschefin Saskia Ludwig ins Rennen, die FDP die frühere Generalsekretärin Linda Teuteberg – beide ebenfalls ortsansässig.

Dass so viele Spitzenpolitiker im Wahlkreis 61 wohnen, ist nur auf den ersten Fall verblüffend. Man ist hier schließlich im Speckgürtel der Hauptstadt. Bis ins Berliner Regierungsviertel sind es nur 25 Kilometer.

Und doch ist das Elefantenrennen vor den Toren der Hauptstadt eher ungewöhnlich. Denn traditionell lassen die Parteien ihre Spitzenkräfte in sicheren Wahlkreisen antreten. Schließlich ist ein klarer Sieg zuhause ein Vertrauensbeweis und gibt Rückenwind.

Einen klaren Sieg hat hier allerdings keiner der Spitzenpolitiker vor Augen. Bei der Bundestagswahl 2017 holte die SPD-Kandidatin die Mehrheit der Erststimmen, während die CDU bei den Zweitstimmen vorne lag. Die Grünen landeten mit weniger als zehn Prozent abgeschlagen auf dem fünften Platz. Die Kandidatin damals: Annalena Baerbock - seinerzeit als klimapolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion allerdings längst nicht so bekannt wie heute.

Schopfheims Partnerstadt ist genauso unberechenbar wie der Wahlkreis: Kleinmachnow hat mit Michael Gruber einen SPD-Bürgermeister, doch seine Partei ist in der Gemeindevertretung nur drittstärkste Kraft - knapp hinter der CDU, und deutlich abgehängt von den Grünen. Die holten bei der letzten Wahl knapp 25 Prozent der Stimmen.

Warum geben sich die Kandidaten diesen direkten Zweikampf? Für Baerbock und Scholz stellt sich die Frage nicht, denn beide wohnen tatsächlich im Wahlkreis, genauer gesagt: in Potsdam. Sie in der vornehmen Nauener Vorstadt, er im Zentrum am Alten Markt.

Dabei sind beide nicht von hier: Olaf Scholz ist Hanseat, und Annalena Baerbock wuchs auf einem Bauernhof in Niedersachsen auf.

Sie schafft es in den hektischen Tagen vor der Wahl nicht nach Kleinmachnow. Im Spagat zwischen Wahlkreis und Bundeskanzleramt setzt sie klar auf die ganz große Bühne und tourt durch die Republik: 42 Termine zwischen Konstanz und Flensburg.

Wenn die Kleinmachnower ihre grüne Direktkandidatin sehen wollen, müssen sie dennoch nicht weit fahren. In Potsdam steht sie an diesem letzten Dienstag im August auf dem Bassinplatz, einem barocken Stadtplatz am Holländischen Viertel mit seinen markanten Ziegelsteinhäusern.

Um die „grüne Bühne“ scharen sich rund tausend Wählerinnen und Wähler. Die eifrigsten sitzen ganz vorne auf Pappkartons und hoffen, gleich im Format „Frag Annalena“ zum Zuge zu kommen. Doch erst einmal gibt’s den politischen Rundumschlag: Kinderarmut. Soziale Ungerechtigkeit. Wir brauchen mehr Kitas, mehr Schulen und eine Vermögenssteuer. Und immer wieder das Kernthema: die Klimakrise.

So richtig lokal ist das alles nicht, doch dann kommt die ersehnte Fragerunde: Warum muss die Raststätte Havelseen an der A10 neu gebaut werden? Warum modernisiert der Bund nicht einfach die bestehende Raststätte Wolfslake, damit nicht noch mehr Boden versiegelt werden muss? Annalena Baerbock kennt die Sachlage und verspricht, sich hier weiter für die ökologischere Variante einzusetzen.

„Frag Annalena“ auf der grünen Bühne

Auch sonst kenne sich die Kanzlerkandidatin im Wahlkreis aus, sagt Alexandra Pichl. Sie ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in der Gemeindevertretung von Kleinmachnow und hat mit Baerbock oft über lokale Fragen gesprochen.

Zuletzt immer wieder über die Stammbahn. Die vor Jahrzehnten stillgelegte Schienenverbindung zwischen Potsdam und Berlin gehört zum langfristigen Infrastrukturplan der Grünen.

Die längst überwachsene Strecke wiederzubeleben, würde die Nahverkehrsanbindung des Wahlkreises an die Hauptstadt enorm verbessern. Doch gibt es Widerstand, denn die alten Gleise verlaufen nunmal durch den Wald, und den wollen viele Anwohner lieber erhalten.

Die Kandidatin kennt die Befindlichkeiten. Die große und die kleine Politik zusammen zu bringen - für Baerbock kein Problem, sagt Pichl.

26 Tage vor der Wahl sind in Kleinmachnow die Wahlbenachrichtigungen verschickt. Ob die prominenten Kandidaten die Wahlbegeisterung anfachen, bleibt abzuwarten. Aber eines ist längst klar: Wer auch immer gewinnt, Kleinmachnow und der Wahlkreis 61 werden im Bundestag gut vertreten sein. Denn die Kandidaten aller Parteien sind durch gute Listenplätze abgesichert.

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