Schopfheim „Ohne Perspektive ist man wie tot“

Markgräfler Tagblatt

AK Integration erinnert an Zuwandererschicksale / Projekt erhält Lob von allen Seiten

Von Michael Maldacker

Schopfheim. In den Schilderungen einiger heute in Schopfheim lebender Migranten gibt es eine große Bandbreite von freiwilligem und unfreiwilligem Zuzug in die Markgrafenstadt. Einige leben seit 40 Jahren hier, andere seit fünf Jahren. Deren Integrationsaspekte möchte der Arbeitskreis als Dokumentation in einem längeren Projekt zusammenfassen, die Broschüre soll Mitte 2016 erscheinen.

Mündliche Aussagen gab es für die Zuhörer schon am Freitag. Hauptredner des Abends in der Mensa der Metzger-Schule war Daniel Lede Abal, der Sprecher für Integration in der Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Er sprach über die Flüchtlingspolitik im Land, lobte aber zunächst die Arbeit der Schopfheimer: „Der Arbeitskreis Integration ist sehr wertvoll, da er dazu beiträgt, dass sich Migranten und Migrantinnen aktiv in die Gesellschaft einbringen“, sagte der 39-jährige Politiker, der im Wahlkreis Tübingen das Direktmandat errungen hatte. Lede Abal, dessen Mutter Deutsche und dessen Vater spanischer Abstammung ist, sagte, dass Konflikte bei der Integration häufig von Verständigungsschwierigkeiten herrührten und mahnte das zügige Erlernen der deutschen Sprache für alle Migranten an.

Andererseits müsse dringend die politische Teilhabe für Personen mit Migrationshintergrund verbessert werden. Lede Abal forderte ein Ausländerwahlrecht auf kommunaler Ebene auch für Angehörige aus Drittstaaten. Bislang gibt es das nur für EU-Bürger. Wichtig ist dem gebürtigen Stuttgarter Daniel Lede Abal auch, dass im Landtag mehr Abgeordnete mit Migrationshintergrund vertreten sein müssten. Bislang seien es parteiübergreifend nur vier.

Nadir Abedirahman ist 21 Jahre alt und einer der Befragten. Er kommt aus Somalia („dort ist seit 30 Jahren Bürgerkrieg“), lebt seit 2010 in Deutschland und absolviert in Schopfheim eine Ausbildung zum Altenpfleger. George Heist lebt seit 1963 in Deutschland. Er kam als US-Soldat zunächst nach Hessen und wohnt seit 1985 in der Markgrafenstadt. Heist engagiert sich in Fahrnauer Vereinen, integriert worden sei er aber hauptsächlich über seine Kinder, sagt er.

Felicidade Wolf da Silva ist seit 49 Jahren ist Schopfheim. Die gebürtige Portugiesin kam als fünfjähriges Gastarbeiterkind nach Deutschland und fühlt sich umfänglich integriert. „Der Kopf ist deutsch, das Herz ist portugiesisch“, sagt Wolf da Silva.

Ibtissam Younes kam als Flüchtling mit Mann und zwei kleinen Kindern aus dem Libanon, drei weitere Kinder wurden hier geboren. Seit 1990 lebt sie in Schopfheim, ist Mitglied im AK Integration und leitet das internationale Frauenfrühstück: „Ich habe Kontakt zu vielen Menschen aus verschiedenen Ländern und engagiere mich hier in verschiedenen Vereinen.“

Lütfi Jakob stammt aus Syrien und lebt seit zwölf Jahren in Deutschland. In Rheinfelden lernte er seine türkisch-

Migranten sind alle integriert

stämmige Frau kennen, nun wohnt der Syrer seit sechs Jahren im Markus-Pflüger-Heim. Der 32-Jährige Zlatko Talic aus Bosnien-Herzegowina flüchtete in den 1990er Jahren mit seinen Eltern aus dem Kriegsgebiet nach Schopfheim. Nach dem Abschluss der Abendrealschule in Zell macht er inzwischen eine Ausbildung zum Erzieher und arbeitet ehrenamtlich bei der Lebenshilfe mit.

Gholam Popal aus Afghanistan floh mit 19 Jahren vor dem Krieg gegen die Sowjetunion aus seinem Heimatland. Dort hatte er eine deutsche Schule besucht und ein Jurastudium begonnen. Heute arbeitet er in einem Lörracher Schnellrestaurant. Popal ist in seinem Leben mehrmals geflüchtet. „Ohne Perspektive zu leben, bedeutet tot zu leben“, sagt er.

Nicht zuletzt wurde auch Valentina Hammer aus Kasachstan befragt. Sie ist seit 15 Jahren Deutschlehrerin an der VHS und kennt somit die meisten Migranten persönlich.

Grünen-Landtagsmitglied Josha Frey sagte, das Projekt zeige, dass man in Deutschland in Vielfalt gut zusammenleben könne und dass hinter jeder Flüchtlingsdiskussion „immer echte Menschen stecken“. „Die Ergebnisse sind wichtig für die Entwicklung der Stadt“, so der städtische Fachbereichsleiter Jürgen Sänger.

Es ist alles ganz unterschiedlich: Generation, Herkunftsland und Grund der Einwanderung nach Deutschland. Am Freitag berichteten Migranten über ihren bisherigen Lebensweg. Die Veranstaltung des AK Integration in der Mensa der Dr. Max Metzger-Schule fand unter dem Titel „Tore zum Verstehen“ statt. Dabei handelt es sich um ein Interview-Projekt, das seit eineinhalb Jahren in Bearbeitung ist und vom zweiten Vorsitzenden des Arbeitskreises und Grünen-Stadtrat Michael Straub geleitet wird.

Durch die Veranstaltung führte Brigitte Fleck, langjährige Leiterin der Volkshochschule und Mitbegründerin des AK Integration. Die Interviewer waren: Wiltrud Straub-Götz, Gabriele Friedrich, Marion Kienzler, Jost Noller und Brigitte Fleck.

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