Schopfheim Und plötzlich eine Stunde Lesen

Ines Bode
Das „finnische Geheimrezept“ des erfolgreichen finnischen Bildungssystems schilderte Petteri Möhwald. Foto: Ines Bode

Vortrag von Petteri Möhwald in der Friedrich-Ebert-Schule über Finnlands Bildungssystem.

Schopfheim - Im Jahr 2000 verschaffte sich Finnland in Europa neuen Respekt: mit dem Spitzenplatz in der Schülerbewertung, sprich in der ersten Pisa-Studie. Deutschland lag im Mittelfeld.

Zwar sollten sich die Werte beider Länder verschieben, gleichwohl gilt das Schulsystem der Nordlichter als Vorbild – konkrete Einblicke zum „finnischen Geheimrezept“ gab Petteri Möhwald in der Friedrich-Ebert-Schule.

Neunzig Minuten fesselte der Maulburger Lehrer seine Zuhörer mit vornehmlich pädagogischem Hintergrund, wie die Abfrage ergab. Aber im Kollegenkreise blicke man laut Rektorin Claudia Droste-Acocella eben mit Neugier auf Finnland.

„Wie schön, dass wir einen Experten haben“, freute sich die Kreisvorsitzende Anja Hanke von der Gewerkschaft „Erziehung und Wissenschaft“ als Veranstalter.

Petteri Möhwald erklärte, jährlich besuche er Schulen Finnlands, ein Staat, der eine ähnlich große Fläche habe wie Deutschland. Allerdings leben auf einem Quadratkilometer nur 18 Menschen statt 233 wie hierzulande. Die Einwohnerzahl betrage ganze 5,5 Millionen, da kümmere sich Vater Staat um jeden.

Vor der Geburt gehe es los, Mutter und Kind würden gesundheitlich gut versorgt. Die Bildung beginnt ebenfalls sehr früh. Der Staat ist präsent, was wohl ein wenig damit zusammenhängt, dass Finnland inklusive Lappland lange von der Sowjetunion abhängig war. „Der Mensch ist der Reichtum des Landes.“

Wortreich schilderte der Halbfinne das soziale System, das früh greife, spielerisch starte und kostenlos sei – bis zur neunten Klasse. Inbegriffen psychologische und ärztliche Betreuung, Sport und Bewegung sowie ein Mittagessen.

In den 70ern wurde die Gemeinschaftsschule gegründet, jeder Schüler werde gleich behandelt, da es keine Haupt-, Real- und Gymnasial-Stufen gebe. Der Lehrplan gelte landesweit, jede Schule sei gleich ausgestattet. Grund- und Gemeinschaftsschulen seien unter einem Dach.

Es folgen Gymnasial-Oberstufe und Berufsschule, und wer etwa wechseln möchte, der tue es eben. „In Finnland ist vieles einfach.“ Um dieses Völkchen zu verstehen, das mit langer Dunkelheit und 40 Grad Kälte lebe, dessen Bürger sich duzten - außer Polizei und Banken - sprach Möhwald ein Beispiel an: Der Finne gehe zum Fotografen zwecks Ausweis, erhalte eine Foto-Nummer, die quasi sämtliche Türen öffne.

Ein soziales Sicherheitsnetz vermeide umständliche Bürokratie. Auch gebe es ein leistungsfähiges Internet. Zum aktuellen Stichwort „Abi-Prüfung“ hieß es, sämtliche Schüler des Landes würden am selben Tag per Online-Methode geprüft, und am Tag darauf stehe alles in der Zeitung. „Die Finnen sind da sehr transparent“. Der Drang zum Lernen sei stark, jeder vierte Erwachsene bilde sich fort.

Ein Kuriosum erlebte er vor Ort: Der Rektor verordnete plötzlich eine Stunde Lesen, für alle, selbst der Gast wurde ermuntert. Hier wie an anderer Stellen ging ein Schmunzeln durch den Saal. Der Berufsstand des Lehrers sei hoch angesehen, doch nur die Besten schaffen die „knallharten“ Hürden des Studiums. Das Gros falle letztlich durch. Das wiederum führe zu höchster Anerkennung.

Freilich ließen sich Parallelen ziehen: Auch in deutschen Gymnasien wandern Oberklassen durch Fachräume, formieren sich Verbände neu nach Interesse, lernen die Jüngsten spielerisch. Deutlich wurde die Kernbotschaft: das Kollektiv Verantwortlicher steht Heranwachsenden täglich mit Rat und Tat zur Seite, alle ziehen an einem Strang - denn in Finnland drehe sich alles nur um die „Wohlfühl-Betreuung“ der nächsten Generationen.

Das Umdenken begann vor knapp 50 Jahren: Es gab eine Elite. Das gefiel den Finnen nicht. Fortan wurde die Gemeinschaftsschule forciert, die jeden auffängt, soll heißen: Mancher benötige eben vier, gar fünf Jahre statt zwei oder drei Jahre bis zum Abitur.

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