Schopfheim Vom Tod der Mutter überrascht

Kathryn Babeck
Katharina Waldi, vermutlich im Garten ihres Hauses. Foto: zVg/Veronika Kreuer-Richon

Serie: Den Menschen ein Gesicht geben.
Katharina Waldi bleibt bis 1944 von der Deportation der Nazis verschont. Sie ist mit einem protestantischen Rechtsanwalt verheiratet und hat drei Kinder. Nun wird für sie ein Stolperstein verlegt

Es sind handschriftliche Notizen von Gisela Kreuer-Waldi, die Zeugnis ablegen, was es bedeutet, in der NS-Zeit mit einer jüdischen Mutter aufzuwachsen. Franziska Hirschner, pensionierte Abteilungsleiterin in der Industrie und Dokumentaristin, hat die Lebensgeschichte von Gisela Kreuer-Waldi im Schopfheimer Jahrbuch Nr. 32 im Jahr 2016 festgehalten. Am 28. August verlegt die Initiative „Stolpersteine Wiesental“ im Gedenken an Katharina Waldi, der Mutter von Gisela Kreuer-Waldi, einen Stolperstein in der Hauptstraße 14.

Eine jüdisch-christliche Ehe

Aus dem Jahrbuch erfährt man, dass Katharina Waldi eine Jüdin ist, die ursprünglich aus Düsseldorf stammt. Ihren Mann, Karl Waldi, einen Protestanten, lernt sie in Heidelberg kennen. Karl Waldi studiert dort Jura. 1909 heiraten die beiden und ziehen nach Schopfheim, denn Karl Waldi arbeitet hier als Rechtsanwalt. 1914 baut die Familie in der Hauptstraße 14 ein Haus. Drei Kinder, Dieter, Walter und Gisela Waldi, werden im Abstand von jeweils sechs Jahren geboren. Gisela Waldi kommt 1922 auf die Welt und wird in Freiburg evangelisch getauft. Mit sechs Jahren findet sie 1928 ihren 18-jährigen Bruder Herbert Waldi vergiftet in seinem Studierzimmer. Die Hintergründe seien bis heute ungeklärt, heißt es im Beitrag des Jahrbuchs. Gisela Waldi besucht in Schopfheim die Volksschule und wechselt dann in die Realschule. Als sogenannte Halbjüdin wird sie in der Schule vor allem seit dem deutschen Angriffskrieg 1939 von ihren Klassenkameraden gemieden, 1941 absolviert sie das Abitur in Schopfheim.

Gisela Waldi bewundert die Mutter für ihre Sprachkenntnisse, den rheinländischen Humor und ihre Großzügigkeit. So berichtet die Tochter, dass ihre Mutter Bedürftige beschenkt. Im Krieg hätte sie auch Schreibmaschinenschreiben gelernt und den „Führer von Schopfheim“ herausgegeben, der historische Sehenswürdigkeiten in und um die Stadt herum zeigt.

Trotz der assimilierten Lebensweise der Familie spürt die Tochter die Ausgrenzung.

Tochter darf nicht studieren

Sie darf auch nicht an einem Tanzkurs teilnehmen und trotz eines Pflichtjahres, das sie absolviert, wird ihr der Zugang zum Physikstudium von den Nazis verwehrt. Bei der Firma Siemens wird sie als „Elektro-Assistentin“ ausgebildet.

Im Februar 1944 wird der Wohnblock in Berlin, in dem sie ein möbliertes Zimmer bewohnt, von Bomben zerstört. Sie verbringt Nächte im Keller und fährt krank zur Erholung für einen Monat nach Hause.

Von der Gestapo verhaftet

Bei ihrer Ankunft erfährt Gisela Waldi, dass am Vortag ihre Mutter beerdigt worden ist. Der Grund: Katharina Waldi wollte mit ihrem Sohn in die Schweiz flüchten und wird von der Gestapo verhaftet. Auf der Polizeiwache im Rathaus wird sie in eine Arrestzelle gesperrt. Dort nimmt sie ein starkes Schlafmittel und verstirbt in der Zelle. Damit entgeht sie der sicheren Ermordung. Dem Sohn gelingt die Flucht in die Schweiz, er überlebt die NS-Zeit.

Gisela Waldi-Kreuer notiert über ihre Ankunft in Schopfheim: „Um 23 Uhr ging ich noch ans Grab meiner Mutter. Im Haus erinnerte mich alles an meine Mutter, an Herbert, an Dieter. ... Ich kam aus dem Heulen nicht mehr raus.“

Schweizer Staatsbürger

Aus dem Jahrbuch entnimmt man, dass Gisela Waldi-Kreuer nach dem Tod ihrer Mutter wieder bei Siemens, diesmal in der Stadt Rokytnice, zu deutsch Rochlitz, im Riesengebirge arbeitet. Bei Kriegsende flieht sie vor den sowjetischen Truppen. Sie kehrt nach Schopfheim zurück, studiert Physik, Mathematik und Chemie. 1947 heiratet sie Helmut Kreuer und lebt mit ihm in der Schweiz. 1962 erhält das Ehepaar die Schweizer Staatsbürgerschaft.

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