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Schopfheim Wie es ist, sich ausgegrenzt zu fühlen

Markgräfler Tagblatt
Stephan Marks (hintere Reihe, Mitte) im Kreise einiger Teilnehmerinnen und Teilnehmer und der Koordinatorinnen der ambulanten Hospizgruppe Schopfheim, Friederike Schweigler (zweite von links) und Lore Barnet (rechts). Foto: Doris Spychalski Foto: Markgräfler Tagblatt

Hospizgruppe: Menschenwürde und Scham: der Umgang mit einem schmerzhaften Gefühl

Wie wird Scham ausgelöst? Wie zeigt sich dieses Gefühl, das bei jeder Arbeit mit Menschen auftreten kann? Um dieses Thema speziell aus dem Blickwinkel der Pflege und Begleitung von alten oder sterbenden Menschen zu beleuchten, lud die ambulante Hospizgruppe Schopfheim Stephan Marks als Referenten für den Fachtag „Menschenwürde und Scham“ ein, der kürzlich in der „Alten Scheune“ in Schopfheim stattfand.

Von Doris Spychalski

Schopfheim. Der Sozialwissenschaftler aus Freiburg hatte für die rund 40 haupt- und ehrenamtlichen Hospiz-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter eine Fülle von Informationen und Erfahrungsberichten mitgebracht, die in Gruppenarbeit und angeregten Diskussionen verarbeitet wurden. Finanziell unterstützt wurde die Fortbildungsveranstaltung von der Hospiz-Stiftung Lörrach.

Alle Menschen kennen Scham: Scham durch eigenes Fehlverhalten und Beschämung durch andere. Stephan Marks machte deutlich, dass Scham ein universelles Gefühl ist, das bereits im Alten Testament eine Rolle spielt. Heute weiß man, dass ein Kind ab einem Alter von etwa zwei Jahren Scham empfinden kann. Ein gesundes Maß an Schamgefühl nach einem Fehlverhalten macht durchaus Sinn und sollte auch ausgehalten werden, da es Entwicklungschancen für Kinder und Jugendliche birgt.

Doch wenn jemand beschämt wird – sei es durch Eltern, Freunde, Lehrer oder totalitäre Regime –, kann dies bei den betroffenen Personen verheerende Folgen haben: Um die Scham „loszuwerden“, können sie Verhaltensweisen wie Hochmut, Arroganz, Aggression oder Gewaltbereitschaft entwickeln, im Extremfall kommt es zu Amokläufen oder anderen Gewaltexzessen.

Scham blockiert, Scham kann zu krankhaftem Ehrgeiz führen

Gleichzeitig verhindert das Gefühl der Scham aber auch Kreativität aus Angst, ausgelacht zu werden. Zu viel Scham blockiert und wirkt sich aus wie ein Schock mit der Folge, dass zum Beispiel Wissen nicht mehr abgerufen werden kann. In anderen Fällen führt die Scham zu krankhaftem Ehrgeiz, um sich durch Perfektion zu schützen. Dies sind nur einige von vielen Scham-Abwehrmechanismen, die Betroffene entwickeln können.

Die Auslöser von Scham sind vielfältig: Missachtung, Grenzverletzung, Ausgrenzung oder zu hohe eigene Ansprüche können das peinigende Gefühl hervorrufen. So schraubt die heutige westliche Gesellschaft die Erwartungen, wie jemand zu sein hat (etwa jung, schön, fit, schlank), immer höher, so dass sich viele Menschen ausgegrenzt und nicht mehr zugehörig fühlen.

Alte Menschen, Arbeitslose oder Analphabeten fühlen sich an den Rand gedrängt, nichts mehr wert, sie schämen sich. Ein akutes Scham-Gefühl ist mit Körperreaktionen wie Erröten oder Erbleichen verbunden, der Betroffene „igelt“ sich ein und möchte in den Erdboden versinken.

Um die Scham zu verbergen, kommt es zu Vermeidungsstrategien oder einer emotionalen Erstarrung, im Extremfall auch zum Suizid nach dem Motto „lieber tot als rot“. Was kann man in der Begegnung und Arbeit mit Menschen also tun, um deren Würde zu respektieren und eine Beschämung zu vermeiden? Hier spielt für Stephan Marks folgende Erkenntnis eine zentrale Rolle: „Scham beginnt mit dem ersten Blick!“

Die Qualität des Augenkontaktes ist also von besonderer Bedeutung – egal, ob zwischen Mutter und Kind, Lehrer und Schüler oder Pflegendem und alten oder sterbenden Menschen. Immer sollte ein freundlicher, offener Blick den Auftakt bilden, damit das Gegenüber sich gesehen und angenommen fühlt.

Augenkontakt ist elementar für eine gute Beziehung

So zeigen neurologische Studien, dass Säuglinge angelächelt werden müssen, damit ihr Gehirn normal wächst. Verweigert man einem Kind die Zuwendung, stürzt es in Angst und Verzweiflung. Im Falle der Betreuung von Alten, Kranken oder Sterbenden sind empathische Umgangsformen ebenfalls enorm wichtig, da sich diese Menschen in ihrer Hilflosigkeit und Pflegebedürftigkeit oft schämen.

Diese Schamgefühle können sich auf das Pflegepersonal übertragen, die dann selbst in die Scham rutschen und sich in manchen Situationen völlig überfordert fühlen. „Scham ist ein übergreifendes Gefühl: Man erlebt die Scham des anderen“, weiß Stephan Marks.

Deshalb können Zeugen von Entwürdigungen massiv Scham empfinden, was Gewaltregime häufig als perfides Machtmittel einsetzen. Um unnötige Scham zu vermeiden, sollten die Menschen daher bei unserem Gegenüber – vor allem bei hilflosen und schutzlosen Menschen – das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Integrität, nach Anerkennung und Schutz respektieren.

„Zuhören schafft Zugehörigkeit“, sagte Stephan Marks, der die Teilnehmer zu einem offenen, respektvollen Umgang mit Pflegebedürftigen und Sterbenden ermutigte. Dies gelinge am besten, wenn man sich zuallererst selbst angemessen wertschätze und schütze.

Eine Teilnehmerin der Fachtagung brachte es treffend auf den Punkt: „Wir sollten mit uns selbst befreundet sein.“ Diesen und viele andere wertvolle Ratschläge und Impulse konnten die Teilnehmer von diesem gelungenen Fachtag mit nach Hause nehmen.

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