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Schopfheim „Wir sind Teil des Zeitstroms“

Kathryn Babeck
„Die Sammlung des Schopheimer Museums reicht weit über das eines Heimatmuseums hinaus“, so Museumsleiter Dominik Baiker Foto: Kathryn Babeck

Interview
Museumsleiter Dominik Baiker spricht über die Bedeutung der Schopfheimer Museumssammlung und zeigt auf, welche Möglichkeiten und Chancen das Ausstellungshaus für die Stadtgesellschaft und darüber hinaus hat.

In diesem Jahr feiert die Revolution von 1848/49 das 175. Jubiläum. Das Schopfheimer Museum verfügt zu dieser Epoche über eine bedeutende Sammlung. Doch welchen Stellenwert hat diese für die Gesellschaft in der heutigen Zeit?

Herr Baiker, wie kamen Sie ins Museumswesen? Was fasziniert Sie an dieser Arbeit?

In Museen arbeite ich seit dem 16. Lebensjahr. Angefangen habe ich im Pfahlbaumuseum in Unteruhldigen, zuerst mit Zuarbeiten, dann in der Museumspädagogik und später in der Verwaltung.

Museen sind eine vermittelnde Instanz, es sind Bildungsorte ohne Einschränkung. Ein Museum ist kein Ort der toten Dinge. Es ist ein Ort der Erkenntnisse, ein öffentlicher Ort, an dem man Diskurse führt und seine Perspektiven erweitert.

Und was ist es, das Sie am Schopfheimer Haus begeistert? Meine Begeisterung für dieses Museum ist das Alter der Sammlung – an die 110 Jahre –, und seine Vielfalt zwischen Alltagskultur einer Kleinstadt, Lebenswelt einer bürgerlichen Oberschicht des 19. Jahrhundert und Kunst- und Designgeschichte. Und natürlich der Standort im pittoresken Städtli, direkt gegenüber der alten Stadtkirche.

Aus Schopfheim bin ich direkt angesprochen worden. Ich hatte im Dreiländermuseum Lörrach die Ausstellung zur Burg Rötteln kuratiert. Das auf Rötteln beheimatete Markgrafengeschlecht Hachberg-Sausenberg hat viel mit Schopfheim zu tun. Schopfheim gilt als älteste mittelalterliche Stadt der Markgrafschaft, als Gründungsdatum nennt man gerne das Jahr 1250. Vom damaligen Lörracher Museumsleiter Markus Moehring habe ich erfahren, dass es in Schopfheim eine beachtliche Museumssammlung gibt.

Was ist an dieser Sammlung besonders?

Als ich anfing, bekam ich erst einmal einen Dämpfer. Das Mittelalter ist hier gar nicht so groß vertreten wie ich gehofft hatte, obwohl Schopfheim seit der römischen Zeit als Besiedlungsort eine Rolle spielt.

Kern der Sammlung ist das lange 19. Jahrhundert. Die Sammlung geht weit über die eines Heimatmuseums hinaus, sie reflektiert Schopfheim als einstige Bezirksstadt.

Themen sind Verbürgerlichung der Gesellschaft, die Industrialisierung und Liberalisierung. So gibt es Möbel des Biedermeier, Objekte aus der Zeit des Vormärz (Zeit zwischen 1814/15 und Märzrevolution 1848, Anm. der Redaktion), Sammlungsgegenstände aus der Revolution 1848/49 und die Adelssammlung Roggenbach, also von Personen der Restauration, den Gegnern der Freiheitsbewegung.

Das sind alles Sammlungsgegenstände, die von einer städtischen Gesellschaft, vom Unternehmer- und Bildungsbürgertum stammen. Diese haben die Stadt maßgeblich mitgestaltet. So geht die Kindertagesstätte am Marktplatz auf die Papierfabrikantenfamilie Sutter zurück, für das Krankenhaus gab es Förderer aus verschiedenen Familien.

Welche Wünsche haben Sie für die Zukunft des Schopfheimer Museums?

Dass es erhalten bleibt und sich erinnert, dass es ab 1912 als Bezirksmuseum in einer Bezirksstadt geplant worden ist.

Natürlich ist bei einem Museum der Austausch immens wichtig. Es ist ein öffentlicher Ort für alle Altersklassen. Nur durch Teilnahme ist ein Mehrwert für eine demokratische Gesellschaft – auch vor Ort – möglich. Was hier bisher fehlt, ist die Museumspädagogik für Jung und Alt. Diese müssen wir in den kommenden Jahren aufbauen und etablieren. Dazu muss das Museum aber vorher modernisiert werden.

Wie würden Sie den Stellenwert der Revolution 1848/49 für die Region einschätzen?

Das hat natürlich mit der großen Bedeutung des Themas für diese Region zu tun. Die linken, radikalrepublikanischen Revolutionäre Friedrich Hecker und Gustav Struve wurden in der BRD für ein staatstragendes Gedenken vereinnahmt, dabei gab es aber ganz viele

verschiedene Positionen, so auch in Schopfheim. Zum Teil waren die nicht nur appetitlich. Der Liberalismus ist ein zweischneidiges Schwert, geeignet im Kampf gegen den Feudalismus aber auch gegen Fabrikarbeiter.

In Frankreich war der Konflikt zwischen Bürgertum und Proletariat virulent. Dort hat das Bürgertum die Arbeitstaufstände im Juni 1848 repressiv niedergeschlagen. Derartige Kämpfe gab es hier zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Frühe Antisemitische Auffassungen waren ebenfalls ein Bestandteil der Revolution von 1848/49. Es gab antijüdische Ausschreitungen. Es ging um die Nationalstaatenbildung. Die Idee eines kosmopolitischem Patriotismus, der allen Völkern ein nationales Selbstbestimmungsrecht gewährt, und ein toxischer Nationalismus standen sich gegenüber.

Mittlerweile wird uns immer mehr bewusst, dass die Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist. Können wir etwas von 1848/49 lernen und wenn ja, was wäre das?

Das Interesse an der Revolution 1848/49 hat nachgelassen, vielen geht es nicht mehr darum, die Personen und die drei badischen Aufstände zu feiern.

Ich bin ohnehin kein Freund der Aussage, dass man aus Geschichte allgemein und verbindlich etwas lernen kann. Es ist immer eine Frage der Perspektive und der Interpretation. Man muss versuchen die Motivation, das Interesse, die Wunschvorstellungen zu verstehen. Es geht um Handlungsweisen. Wir sind Teil dieses Zeitstroms.

Gegenwärtig sind wir mit dem Klimawandel und einem Massenartensterben – das letzte Ereignis dieser Art fand vor 65 Millionen Jahren statt – und das heißt auch mit einem gesellschaftlichen Wandel konfrontiert, der unsere Zivilisation, wie zuvor bereits die Industrialisierung, komplett verändern wird. Darüber müssen wir jetzt debattieren – auch im Museum.

Das Gespräch führte Kathryn Babeck

Dominik Baiker

Foto: Kathryn Babeck

1970
wurde Dominik Baiker in München geboren. Er studierte Ur- und Frühgeschichte, Anthropologie sowie Mittelalterliche Geschichte an der Universität Freiburg.

1. März 2021
ist er Museumsleiter des Stadtmuseums Schopfheim.

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