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Steinen Alte Wunden reißen wieder auf

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Hans-Peter Günther. Foto: Harald Pflüger

Kurzgeschichte: Hans-Peter Günthers fikitive Familien-Saga über die „von Schenckhs“ / Teil 2

Steinen. Hans-Peter Günther, Büromaschinentechniker im Ruhestand, Schreibmaschinensammler und Verfasser von Kurzgeschichten, hat sich wieder an die Schreibmaschine gesetzt und eine fiktive Familien-Sage über die „von Schenckhs“ geschrieben, die wir in zwei Teilen veröffentlichen. Heute folgt Teil 2:

„Liebe Leserin, lieber Leser, nachdem wir nun gemeinsam ein Stück des Weges mit der Familie von Schenckh gegangen sind, möchte ich Ihnen weiter berichten.

Als Walter von Schenckh, von seiner Tochter Melanie davon unterrichtet, dass sein Schwiegersohn Felix tatsächlich seine geliebte „Sholes & Glidden“-Schreibmaschine gestohlen und verkauft hatte, brach er bekanntlich in seinem Sessel zusammen.

Der sofort herbeigerufene Notarzt der Berliner Feuerwehr veranlasste die umgehende Einweisung ins nächstgelegene Krankenhaus. Diagnose: Schlaganfall. Doch die Ärzte konnten nichts mehr für ihn tun.

Walter von Schenckh verstarb in der darauffolgenden Nacht, ohne das Bewusstsein je wieder erlangt zu haben.

Als bei Melanie gegen 6 Uhr in der Früh das Telefon klingelte, beschlich sie ein ungutes Gefühl. Sie drückte die grüne Taste und meldete sich. Schon beim Blick aufs Display sah sie, dass es das Krankenhaus war.

Die wenigen Worte genügten. Sie konnte nur noch schluchzend danke und ich komme sofort sagen.

Ihr Vater war nach dem Tod ihrer Mutter ihr Ein und Alles gewesen.

Melanie zog sich schnell etwas über, benutzte ihre beiden Hände ersatzweise als Kamm, griff sich den Autoschlüssel und eilte in die Garage. Dort stand noch immer der abgemeldete und abgedeckte Opel Senator. Als sie dieses Auto sah, stieg die ganze Wut über ihren Ex-Mann in ihr hoch. Dieser war quasi schuld am Tod ihres Vaters.

Sie startete den VW Golf. Das Garagentor war noch nicht ganz oben, als Melanie schon rausfuhr. Fast wäre es schiefgegangen. Gerade noch mal Glück gehabt. Wenn man an solch einem Tag von Glück reden kann.

Dieses ganze sich Beeilen war sowieso mehr der Nervosität als der Notwendigkeit geschuldet. Wer denkt in solch einer Situation schon rational?

Als Melanie von Schenckh im Krankenhaus ankam, war ihr Vater schon nicht mehr im Zimmer. Sie konnte ihn dort nicht mehr sehen.

Sie erledigte die notwendigen Formalitäten im Sekretariat und verließ das Spital wie in Trance.

Den Diebstahl der Schreibmaschine hätte sie ihrem Ex-Mann irgendwann verzeihen können. Den dadurch verursachten Schlaganfall bei ihrem Vater und den nachfolgenden Tod niemals.

Über 200 Trauernde folgten dem Sarg von Walter von Schenckh. Er war ein hochgeschätzter Kollege in der Büromaschinen-Branche im damaligen Berlin. Mit ihm wurde eine Institution zu Grabe getragen.

Melanie von Schenckh brauchte Monate, bis sie sich im Alltag wieder zurecht fand.

Das Büromaschinen-Geschäft auf dem Kurfürstendamm hatte sie an ihren ehemaligen Werkstattmeister Hans Schulte erst verpachtet und dann verkauft.

Von all diesen Einnahmen konnte sie nun gut leben. Kinder hatte sie keine, sie musste nur für sich sorgen. Ihre finanziellen Ansprüche und ihren Tagesablauf hatte sie ihrem jetzigen Leben angepasst. Der Alltag hätte eigentlich seinen Gleichklang finden können, wenn da nicht eine Nachricht gekommen wäre und alte Wunden wieder aufgerissen hätten.

Der Postbote läutete Sturm. Er schien es wieder einmal eilig zu haben. Ein Einschreiben mit Rückschein für Frau Melanie von Schenckh.

Das bin ich, sagte sie, und quittierte, gefolgt von einem vielen Dank und einen schönen Tag noch.

Ihnen auch, sage der Postbote.

Als Absender stnd auf dem Briefumschlag: Rechtsanwälte Suter und Sperber, Stuttgart.

Dies kann sicher nichts Gute bedeuten, dachte sich Melanie von Schenckh. Sie beschlich wieder dieses Bauchgefühl, das immer dann auftrat, wenn sie etwas Unangenehmes ahnte.

Meistens war dem auch so.

Ihre Hände zitterten ein wenig. Hastig öffnete sie den Briefumschlag.

Das Rechtsanwaltsbüro teilte ihr in dem Schreiben mit, dass ihr Ex-Mann Felix Blume bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen sei.

Nach ihrer Scheidung war Blume als freier Handelsvertreter für Büroartikel tätig und somit ständig unterwegs. Davon wusste sie nichts, da sie keinen Kontakt mehr hatten. Da von ihm keine Angehörigen bekannt waren und man ihre Adresse bei ihm fand, wurde Melanie von Schenckh benachrichtigt.

Melanie von Schenckh lehnte allerdings jegliche Zuständigkeit ab, sie empfand nicht einmal Trauer. Es war in der Vergangenheit einfach zuviel geschehen.

Das Büromaschinengeschäft auf dem Kurfürstendamm gibt es schon lange nicht mehr. In den Laden ist eine Boutique für Brautmoden eingezogen.“

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