Steinen Der Lehrer, die Nachhilfe und die L.C. Corona Super Speed

Markgräfler Tagblatt
Hans-Peter Günther erinnert sich in einer Kurzgeschichte an seine Jugendzeit. Foto: Harald Pflüger Foto: Markgräfler Tagblatt

Kurzgeschichte: Hans-Peter Günther erinnert sich an eine besondere Schreibmaschine

Mit der „Fabel von der Schreibmaschine“ hat der Höllsteiner Hans-Peter Günther Neuland betreten und seine erste Kurzgeschichte geschrieben. Die Resonanz auf die Veröffentlich in unserer Zeitung war so überwältigend, dass er eine Fortsetzung schrieb, die ebenfalls in unserer Zeitung veröffentlicht wurde. Jetzt hat Günther eine weitere Kurzgeschichte verfasst, die im Jahr 1958 spielt.

Steinen-Höllstein (hp). „Meine Eltern und ich wohnten in der Tumringer Straße in Lörrach. Im Haus befand sich eine Bäckerei, die es nun auch schon seit Jahren nicht mehr gibt. Etliche Häuser weiter stand und steht noch immer eine Villa, in der ein Realschullehrer wohnte, der sein Lehrergehalt mit dem Erteilen von Nachhilfe im Fach „Französisch“ aufbesserte. Zu dieser Aufbesserung trug ich nicht unwesentlich zwei Mal die Woche mit je fünf Mark bei. Seltsamerweise hatten die Unterrichtsstunden statt 60 nur 45 Minuten, was aber weder den Schüler noch den Lehrer störte.

Diese Nachhilfe erstreckte sich über mehrere Monate und war vor Klassenarbeiten stets hilfreich. Mehr aber auch nicht. Mein 14-jähriges Schülergehirn fand zu dieser Sprache einfach keinen Zugang, und ich muss sagen, sie interessierte mich auch nicht – bis heute.

Trotzdem bin ich relativ gerne zu dieser Nachhilfe gegangen, stand doch im Arbeitszimmer des Lehrers auf einem kleinen Tischchen eine uralte Schreibmaschine, eine L.C. Corona Super Speed. Schon damals fand ich großen Gefallen an alten Schreibmaschinen, war ich doch durch meinen Vater, von Beruf Büromaschinenmechanikermeister, gentechnisch stark vorbelastet.

Es war sicher ungewöhnlich, dass sich ein Junge in diesem Alter für Schreibmaschinen interessierte. Auf jeden Fall mehr als für die französische Sprache als Schulfach. Die war aber leider in Baden-Württemberg in den Mittelschulen Pflichtfach.

Dass ich bei diesen privaten Nachhilfestunden mit meinen Gedanken mehr bei der Technik besagter Schreibmaschinen war, entging auch dem Lehrer nicht. Je weniger für mich die Präpositionen verständlich waren, je mehr Stunden konnte er mir ja geben. Nun. Der Lehrer half mir immerhin, dass es zur Versetzung reichte. Mehr wollte ich nicht. Als es wieder mal Dienstagmittag 15 Uhr war, radelte ich zu besagter Villa, klingelte, aber kein Summen öffnete mir die Gartentür. Ich wollte mich schon wieder erleichtert abwenden, als doch geöffnet wurde. Seine Frau stand vor mir und teilte mir mit, dass ihr Mann in den Abendstunden leider verstorben sei.

Seltsamerweise empfand ich in diesem Moment weder Trauer noch Mitgefühl. Das einzige woran ich dachte war, da kann ich ja mit den eingesparten fünf Euro ins Kino gehen. Ab ging es in Richtung Wallbrunn-Kino, da lief gerade „Zorro und Fuzzi“. Zur 16-Uhr-Vorstellung hat es gerade noch gereicht. Als Vater und Mutter Abendes heim kamen, war ich längst wieder da. Gott sei dank stellten sie keine Fragen, so blieb meine „Nachhilfe“ im Wallbrunn-Kino mein Geheimnis. Was mich aber doch beschäftigte, war die Frage, wie ich der Witwe die alte Schreibmaschine abluchsen kann. Ich konnte mit meinen 14 Jahren ja nicht hingehen und fragen, ob ich die alte Schreibmaschine bekommen könnte.

Das wäre auch zu früh nach dem Tod des Lehrers gewesen. Aber es zog mich immer wieder in die Gegend der Villa. Wie es der Zufall wollte, kam ich gerade an, als Möbel aus dem Haus getragen wurden. Jetzt fasste ich mir doch ein Herz und fragte, ob sie ausziehen würde. „Ja“, war die Antwort. Die Wohnung sei zu groß und zu teuer. „Was haben Sie mit der alten Schreibmaschine gemacht, die immer im Arbeitszimmer Ihres Mannes stand?“, wollte ich wissen. „Mein Mann hat eigentlich nie damit geschrieben, die hatte er noch von seinem Vater, sie stand nur zur Deko da. Wolltest Du sie denn haben?“, lautete die Antwort. „Ja, gerne“, sagte ich. „Da kommst du leider zu spät, Die habe ich gestern zum Altmetall gegeben, war ja sowieso nicht mehr zu gebrauchen“, sagte die Witwe.

Das ist natürlich Ansichtssache, ich hätte schon Spaß daran gehabt. Aber jetzt war es zu spät. Mein Interesse an alten Schreibmaschinen habe ich bis zum heutigen Tag nicht verloren. Diese haben mich nicht nur durch mein Berufsleben begleitet, sondern machen mir auch heute noch große Freude. Es ist also doch nicht immer zu spät.“

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