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Steinen Menschen eine Perspektive geben

Laura Forstner und Adrian Steineck

Hilfsaktion: David Schiller berichtet von seiner Reise an die ukrainisch-ungarische Grenze

Von Steinen an die ukrainisch-ungarische Grenze: Diese Reise hat David Schiller auf sich genommen. Im Gepäck hatten der 41-jährige Sozialarbeiter und seine fünf Mitfahrer Hilfsgüter wie Saatgut, Hygieneartikel und Windeln, die für die Menschen bestimmt waren, die durch den Angriff Russlands auf die Ukraine ihr Hab und Gut verloren haben. Zurückgekommen sind die Helfer mit bleibenden Eindrücken – und einer neuen Mitbewohnerin, die für David Schiller mittlerweile fast schon zur Familie gehört.

Von Laura Forstner und Adrian Steineck

Steinen. Als ein „Abenteuer fürs Leben“ bezeichnen David Schiller und sein Cousin Fabian Jenczak, der die Reise begleitet hat, die Hilfsaktion, für die es viel Unterstützung örtlicher Firmen und Einrichtungen gegeben hat (wir berichteten am 4. April). So hat die Busvermietung Stockburger aus Schopfheim einen Transporter mit Anhänger zur Verfügung gestellt. Auch Freunde und Bekannte halfen finanziell oder mit Material; eine örtliche Bäckerei sorgte für Verpflegung.

Unerwarteter Empfang nach 17 Stunden Fahrt

Zugleich aber war vieles anders, als Schiller und „seine Jungs“, wie er seine fünf Mitfahrer liebevoll nennt, es erwartet haben. Das begann schon damit, dass ihre Kontaktperson, ein ungarischer Pastor namens Peter, der deutsch spricht, bei der Ankunft zunächst nicht da war. „Stattdessen wurden wir von Menschen erwartet, die auf uns zunächst einen leicht zwielichtigen Eindruck machten“, erzählt Schiller im Gespräch mit unserer Zeitung. Zugleich aber betont er rückblickend, dass das anfängliche Misstrauen sich als unbegründet erwiesen hat und die Menschen vor Ort offenbar als Flüchtlinge aus der Ukraine heraus wollten: „Es hat bei unserer Ankunft geregnet, und die Leute brachten uns Sonnenschirme zum Schutz, boten uns Kaffee an und waren sehr freundlich.“ Das sei nach der 17-stündigen Fahrt eine Wohltat gewesen.

Der Pastor tauchte schließlich auf, blieb aber bei der Frage danach, wohin die Hilfsgüter gebracht werden sollten, zunächst vage und berief sich darauf, dass Gott schon alles fügen werde. Schließlich aber konnte er dazu bewegt werden, mit einer Helferin, die ukrainisch spricht, zu telefonieren, und führte Schiller und die anderen in das von ihm eingerichtete Hilfszentrum, das mit der Caritas zusammenarbeitet. „Als wir sahen, dass dort auch schon andere Hilfsgüter vorhanden waren, darunter auch Produkte aus der Schweiz, die einer unserer Mitfahrer zuordnen konnte, war das eine Erleichterung für uns“, beschreibt Schiller die allgemeine Gemütslage.

Während der beiden Tage, die Schiller und seine Mitstreiter an der ukrainisch-ungarischen Grenze verbrachten, sind sie dem ungarischen Militär und dem Grenzschutz begegnet, wie Fabian Jenczak berichtet. Von den Kampfhandlungen aber haben sie nichts mitbekommen. „Wir haben unseren Familien versprochen, nicht in die Ukraine selbst zu gehen“, sagt Schiller und betont, dass die sechs Helfer sich zu keinem Zeitpunkt unsicher gefühlt hätten.

Der Start in ein neues Leben für Tatjana

Schiller war es auch wichtig, nicht nur Hilfsgüter für die Menschen in der Ukraine abzugeben, sondern auf der Rückfahrt auch Menschen mitnehmen zu können, um diesen eine dauerhafte Perspektive zu ermöglichen. Ihr Ansprechpartner, Pastor Peter, lotste die Gruppe hierzu vor der Rückfahrt auf einen relativ versteckt im Wald gelegenen Campingplatz, etwa zehn Kilometer von seinem Hilfscamp entfernt. Die Fahrt dorthin war für Schillers Cousin Fabian Jenczak als besonders eindrücklich; man befinde sich zwar in Europa, aber es wirke dennoch vieles ungewohnt.

Von einem Mann mit Schäferhund in Empfang genommen, traf die sechsköpfige Männergruppe auf die 47-jährige Tatjana, die mit einem kleinen Rucksack und einer Tasche auf sie wartete. Anfängliche Verständigungsprobleme konnten noch vor der Abfahrt dank des Anrufs bei einer ukrainisch sprechenden Bekannten Schillers ausgeräumt werden. Dennoch zeigen sich Schiller und sein Cousin beeindruckt von dem Maß an Vertrauen, das die Frau ihnen entgegenbrachte. „Man darf nicht vergessen, dass sie zu sechs unbekannten Männern, deren Sprache sie zudem nicht sprach, ins Auto gestiegen ist“, sagt Schiller.

Auf der Rückfahrt kam das erste richtige Lebenszeichen von Tatjana dann beim gemeinsamen Verzehr einer Tüte Fruchtgummi. „Auf einmal tauchte von hinten eine Hand auf und griff in die Tüte“, sagt Schiller schmunzelnd.

Der ihr bekannte Geschmack half mit, das Eis zu brechen. Auch ein Abstecher nach Wien auf der Heimfahrt zum gemeinsamen Schnitzelessen, das Tatjana sichtlich genoss, trug dazu bei, das Vertrauen zu stärken.

Derzeit wohnt Tatjana bei David Schiller und seiner Familie. „Sie schafft sich selbst ihre weitere Perspektive“, sagt der 41-Jährige. Dabei sei sie hoch motiviert: „Am Sonntag ist sie zu uns gekommen, am Montag hat sie zum ersten Mal einen Deutschkurs besucht.“ Tatjanas Kinder sind in Sicherheit und besuchen unter anderem eine Sportschule in Lettland. Ihr Freund aber kämpft noch immer in der Ukraine für seine Heimat. Tatjana selbst ist Zeugin des Krieges geworden und hat David Schiller schon Handyvideos gezeigt, die dieser sich nach eigenem Bekunden nicht ansehen konnte. „Wir sind froh, dass Tatjana bei uns ist; sie ist eine Bereicherung für die Familie“, sagt er.

Weitere Fahrten sind derzeit ungewiss

Ob und, wenn ja, wann Schiller nochmals mit Hilfsgütern an die ukrainische Grenze fährt, ist derzeit unklar. „Eigentlich wollte ich in den Sommerferien wieder zwei Wochen dorthin, um zu schauen, wie es Peter und den Menschen dort geht“, sagt der 41-Jährige. Aber allles hänge davon ab, wie sich der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine weiter entwickelt. Er stehe aber weiterhin mit dem Pastor in Kontakt und hoffe, diesen auch finanziell unterstützen zu können.

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