Steinen Migration hat eine lange Geschichte

Markgräfler Tagblatt

Dokumentarfilm: Heiderun Gödrich aus Steinen wird als Zeitzeugin interviewt

Als Zeitzeugin wirkte Heiderun Gödrich aus Steinen an dem Projekt „Daheim in der Fremde“ des Hauses des Dokumentarfilms mit.

Von Harald Pflüger

Steinen. Heiderun Gödrich meldete sich auf einen Aufruf in einer sudetendeutschen Zeitung, in dem Zeitzeugen für das vom Land Baden-Württemberg geförderten Projekt „Daheim in der Fremde“ am Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart gesucht wurden.

Als ehrenamtliche Zeitzeugin hat Heiderun Gödrich bereits im Geschichtsunterricht an Schulen von Flucht und Vertreibung aus ihrer ganz persönlichen Sicht erzählt. „Den Schülern gefällt es“, sagt Heiderun Gödrich, die bereits am Meret-Oppenheim-Schulzentrum in Steinen und am Hebelgymnasium in Lörrach den Unterricht bereicherte.

Als Zeitzeugin kommt Heiderun Gödrich auch in „Daheim in der Fremde“ zu Wort. Dieses Projekt soll zeigen, dass Migration in Baden-Württemberg eine lange Geschichte hat. Lebten zum Ende des Zweiten Weltkriegs fünf Millionen Bürger im Südwesten, sind es heute beinahe elf Millionen. Die Heimatvertriebenen und Kriegsflüchtlinge waren laut dem Haus des Dokumentarfilms die erste große Gruppe von Menschen, die nach 1945 ins Land kamen.

Die Online-Plattform „Daheim in der Fremde“ soll die unterschiedlichen Zuwanderungswellen nach Baden-Württemberg nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfassen.

Heiderun Gödrich erzählt im Gespräch mit der Dokumentarfilmerin Elena Schilling vom Siedlungsbau und davon, welche Veränderung dieser für sie mit sich brachte. Dazu besuchte sie ein Fernsehteam in ihrem Haus in der Neumattstraße. Die umfangreiche Dokumentation ist abrufbar unter www.daheiminderfremde.de (Beiträge - Heimatvertriebene).

Heiderun Gödrich vermutet, dass die Wahl auf sie auch aufgrund ihres Buches „Blechteller für Flüchtlinge“ fiel. Sie hatte ihrer Bewerbung einen Prospekt über das Buch beigelegt und so das Interesse der Filmerin geweckt.

Von einer Kindheit in schlimmen Zeiten berichtet Heiderun Gödrich in ihrem Buch „Blechteller für Flüchtlinge“, mit dem sie vor allem der jüngeren Generation nahebringen will, wie es sich anfühlt, wenn man seine Heimat und seine Freunde verliert, in der Fremde als Flüchtling nicht willkommen ist und gedemütigt wird. Ein Thema, das heute wieder aktuell ist.

Heiderun Gödrich ist sechs Jahre alt, als die Familie evakuiert wird. Da weiß sie noch nicht, dass die Familie später in der Fremde neu beginnen wird. In einem viereinhalbminütigen Clip, der auch auf Youtube zu sehen ist, schildert Heiderun Gödrich den Bau der Siedlung in Steinen, berichtet davon, wie den Flüchtlingen Land zur Verfügung gestellt wurde und wie die Flüchtlinge mit Spenden und Bürgschaften unterstützt wurden, und davon, wie viel Schweiß in den Doppelhaushälften steckt.

Dass Heidrun Gödrich packend erzählen kann, kam dem Filmteam zupass, als es bei ihr drehte. Zuerst aber musste die Wanduhr abgestellt werden, weil ihr Ticken die Tonaufnahme gestört hätte, erinnert sich die Steinenerin an die Dreharbeiten. Dann musste sie erzählen.

Lange Zeit hörte Heiderun Gödrich nichts mehr von dem Projekt. Dann, kurz vor Weihnachten, die Nachricht: Das Interview ist im Netz: zwei Filme. Einer viereinhalb Minuten lang, einer mit dem kompletten Interview mit 30 Minuten Länge. „Ich bin stolz auf Steinen“, sagt die Zeitzeugin, denn hier stand die Siedlung schon, als andernorts Hilfsorganisationen zu Spenden aufgerufen hatten.

Dass die Flüchtlinge in Steinen eine neue Heimat fanden, ist Pfarrer Präger zu verdanken, der mit dem „Hirschen“-Wirt Karl Gebhardt ins Gespräch kam. Gebhardt wollte schon lange, gemeinsam mit anderen aus dem Männerkreis der evangelischen Kirche in Steinen, nicht nur die Bibel lesen, sondern praktische Hilfe für die Heimatvertriebenen leisten. Im Verbund mit der Gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft des Hilfswerks der evangelischen Kirchen in Deutschland wurde das Vorhaben in die Tat umgesetzt.

Auf zwei Hektar sollten Doppelhäuser für insgesamt 26 Familien errichtet werden. Karl Gebhardt schenkte über ein Hektar seines Wiesen- und Ackerlandes im Gewann Neumatt der Siedlungsgesellschaft, den Rest verkauften ansässige Eigentümer. Bürger aus Steinen zeichneten Bürgschaften für die Kaufsummen, die sie jährlich verzinsen mussten. Sach- und Geldspenden wurden auf einen Aufruf des Förderkreises hin gerne gegeben. Der Kaufmann Ernst Pflüger übernahm im Auftrag der Siedlungsgesellschaft die praktische Abwicklung. Die zukünftigen Siedler, die über kein Geldvermögen verfügten, trugen das Ihre durch tätige Mitarbeit am Bau bei – genauestens verbucht und abgerechnet. 1951 schließlich konnten die 13 Doppelhäuser den Familien übergeben werden konnten. Daran erinnert heute eine Tafel in der Adelbert-Stifter-Straße.

Weitere Informationen: Das Haus des Dokumentarfilms in Stuttgart ist eine Institution zur Sammlung, Förderung und Erforschung des deutschsprachigen und internationalen Dokumentarfilms.

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