Steinen Zwei Generationen auf das Leben vorbereitet

Kristoff Meller
Joachim Veit vor der Grundschule in Weitenau Foto: Kristoff Meller

Porträt: Joachim Veit war 30 Jahre lang Leiter der Nachbarschaftsgrundschule Weitenau-Wieslet, am Mittwoch wird er in den Ruhestand verabschiedet.

Steinen-Weitenau - Nach 30 Jahren als Rektor der Nachbarschaftsgrundschule Weitenau-Wieslet wird Joachim Veit am Mittwoch in den Ruhestand verabschiedet. Eine extrem lange Dienstzeit am selben Ort: Mit ihm verlassen Viertklässler die Schule, deren Eltern schon in seinem Unterricht saßen.

„Elternabende sind bei uns inzwischen wie Klassentreffen. Daran merke ich, dass ich älter werde“, erzählt der groß gewachsene Schulleiter, während er in seinem kleinen Büro sitzt, das gleichzeitig das Lehrerzimmer ist. Erst am Donnerstag ist Joachim Veit 65 Jahre alt geworden – Zeit für den Ruhestand. „Rückblickend kann ich uneingeschränkt sagen, dass ich mit meiner Berufswahl glücklich bin und dass es ein Volltreffer war, nach Weitenau und an diese Schule zu kommen. Ich bin wirklich jeden Morgen gerne in die Schule gegangen.“

Die Nachbarschaftsgrundschule ist mit ihren derzeit 70 Schülern eine der kleinsten im Landkreis. Die Klassen eins und zwei werden in Wieslet, die anderen beiden in Weitenau beschult. Noch vor einigen Jahren mussten die Klassen vorübergehend zusammengelegt werden, weil zu wenige Anmeldungen vorlagen, seit vier Jahren nehmen die Schülerzahlen aber wieder leicht zu. Veit mag die überschaubare Größe der Schule: „Hier fühlt sich jeder verantwortlich.“ Wenn es einem Kind schlecht geht, werde das schnell bemerkt.

Blind auf die Stelle als Rektor beworben

Die Pädagogik liegt Veit im Blut – beide Eltern waren Lehrer. Nach dem Studium an der Pädagogischen Hochschule Lörrach und dem Referendariat an der Hauptschule Tegernau verschlug es ihn 1983 zunächst nach Giengen an der Brenz bei Heidenheim. Doch als seine Eltern immer betagter wurden, wollte er möglichst schnell ins Dreiländereck zurück.

„Damals konnte man sich aber nur für eine Funktionsstelle schulscharf bewerben“, erzählt Veit, der zu diesem Zeitpunkt nur wenige Jahre Erfahrung als Konrektor vorweisen konnte. Dennoch bewarb er sich für die Leitung der kleinen Grundschule: „Ich hatte allerdings keine Vorstellung, was mich dort erwartet, ich habe mich absolut blind beworben.“

Der Bewerbungsprozess verlief dennoch positiv, die Wohnungssuche nicht. Bei seiner Amtseinführung übernachtete er noch im Wohnmobil auf einem nahen Campingplatz. Inzwischen leben Veit und seine Frau längst in Weitenau – nur das Wohnmobil ist sein Markenzeichen geblieben.

Ein Apfelkuchen für jeden Montag

„Eigentlich wollte ich höchstens 15 Jahre bleiben und danach an die PH wechseln“, gesteht Veit. Doch bei der Fortbildung von Lehrern sei ihm bewusst geworden, dass ihm die Kinder mit ihren „ehrlichen und direkten Rückmeldungen“ schnell fehlen würden. „Zwischendrin habe ich mich aber schon gefragt, ob es gut für die Schule ist, wenn ich 30 Jahre lang hier bin“, erzählt Veit. Um nicht ganz „betriebsblind“ zu werden, forderte er darum neue Kollegen nach einer gewissen Einarbeitungszeit auf, ihm eine ehrliche Rückmeldung und konstruktive Kritik zu geben, „damit Bewegung reinkommt“.

Auch zu den Schülern pflegt der Rektor eine vertrauensvolle Beziehung, die auf Gegenseitigkeit beruht: Eine vierte Klasse hat ihm zum Abschied sogar im neuen Schuljahr jede Woche einen Apfelkuchen gebacken und vorbeigebracht, bis alle an der Reihe waren. Veit betont: „Kinder geben Eltern und Erziehern einen riesigen Vertrauensvorschuss. Damit verantwortungsvoll umzugehen, ist eine ständige Herausforderung.“

Der Schulalltag hat sich in den 30 Jahren indes deutlich verändert: „Wir sind immer weniger Wissensvermittler und immer mehr Erzieher. Zudem hat das Differenzieren stark zugenommen, was sehr aufwendig ist, wenn man versucht, allen Kindern gerecht zu werden“, berichtet Veit. Und dann ist da natürlich noch die Digitalisierung. Die Mehrheit der Viertklässler hat laut Veit inzwischen ein Handy, und seit Corona gibt es auch einen Klassensatz Tablets.

„Das Unbeschwerte geht bei den Kindern immer mehr verloren“

Was ihm aufgefallen ist: „Das Unbeschwerte geht bei den Kindern immer mehr verloren.“ Früher wurde mittags einfach gespielt, und Wörter wie Viren oder gar Mutanten gehörten nicht zum Wortschatz eines Grundschülers. „Außerdem meine ich wahrzunehmen, dass die Bereitschaft nachgelassen hat, die anderen Menschen mit Empathie anzuschauen und sich ihnen gegenüber einfühlsam zu verhalten.“

Was sich in 30 Jahren nicht geändert hat: Seine Tür steht immer offen, und die Kinder schätzen dieses Angebot. Humor versteht Veit zudem als erzieherisches Motto und lebt es im Unterricht: „Man muss so souverän sein, dass man über sich selber lachen kann.“ Gleichzeitig kann er auch streng sein, wo es notwendig ist. Aber: „Wenn ich schimpfe, verwende ich Schimpfwörter, die zugleich versöhnlich sind – wie Stinktier zum Beispiel.“ Darum hat seine aktuelle Klasse zu Beginn des dritten Schuljahres auch diesen Namen gewählt, als sie auf der Suche nach einem Tiernamen war.

„Guten Morgen, liebe Stinktiere!“

Am Mittwoch heißt es nun zum letzten Mal „Guten Morgen, liebe Stinktiere!“ Danach folgt mittags die Verabschiedung. Aufgrund der Pandemie findet diese im überschaubaren Rahmen statt, was Veit nicht stört: „Ich stehe nicht gern im Mittelpunkt und habe doch nur meine Arbeit gemacht.“

Was folgt danach? Eine Weltreise mit dem Wohnmobil? Veit winkt ab: „Wir sind gerne hier zuhause und werden nicht mehr, sondern nur anders verreisen.“ Zudem erhofft er sich endlich mehr Zeit für seine 500-seitigen Schmöker aus dem Bücherregal. „Auf Entdeckungsreise im eigenen Haus gehen“, steht ebenfalls auf seiner Liste, und dann ist da ja noch das Laufen. Der leidenschaftliche Marathonläufer, den man schon mal früh morgens in Lörrach trifft, möchte an seinem Tempo feilen. Dazu singt er seit Jahren im Weitenauer Gesangverein.

„Langweilig wird mir bestimmt nicht“, vermutet Veit und grinst. Und wenn die Sehnsucht nach den Kindern doch zu groß wird? „Ich habe noch ein paar Ideen vorbereitet, die ich bei den jüngsten beiden Projekttagen anbieten wollte, diese sind aber coronabedingt ausgefallen.“ Es ist also gut möglich, dass Veit als Ruheständler irgendwann an seine ehemalige Wirkungsstätte zurückkehrt.

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