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Weil am Rhein An den Krieg gewöhnt man sich nie

Weiler Zeitung

Afghanistan: Einblicke in den Alltag der Menschen / Angst vor Attentaten hat das Leben fest im Griff

Die aus Weil am Rhein stammende Auslandskorrespondentin Stefanie Glinski, die auch freie Mitarbeiterin unserer Zeitung ist, war schon in vielen Krisengebieten der Welt und hat hautnah darüber berichtet. Derzeit beobachtet sie den Alltag in Afghanistan – ein Land, das seit Jahrzehnten nicht zur Ruhe kommt.

Von Stefanie Glinski

Kabul. In Afghanistans Hauptstadt Kabul grüßt man sich kaum mehr mit dem Wunsch eines schönen Tages, sondern mit einem besorgten „sieh zu, dass du in Sicherheit bleibst.”

Das ist verständlich. Vor einigen Wochen saß ich mit einer Gruppe Freunden im Wohnzimmer. Der Fernseher lief, wir hatten Popcorn gemacht, tauschten uns über die Geschehnisse des Tages aus. Ein entfernter Knall unterbrach das Gespräch. „War das eine Explosion?“ fragt jemand in die Runde. Ein kurzer Blick auf die Überwachungskamera – unsere Wächter sitzen weiterhin gelassen vor dem Haus. Trotzdem hören wir in der Ferne die Krankenwagen. Vielleicht nur ein kleiner improvisierter Sprengsatz, der oft heimlich magnetisch an Autos angebracht wird. Wir starren weiter auf den Fernseher, essen Popcorn. Plötzlich ein lauter Knall; das ganze Haus wackelt. Keine Frage, das war eine Explosion in der Nähe. Wir schließen unsere schusssiecheren Fenster. Jetzt sind es viele Sirenen, die wir draussen hören. Eine Stunde später ist es still und der Rest des Abends bleibt ruhig. In Afghanistan sind solche Geschehnisse leider Alltag, aber niemals normal.

Ich habe eine afghanische Freundin gefragt, ob sie sich je daran gewöhnt – den Krieg, die Explosionen. „Nein,“ sagt sie. „Nie. Jeden Morgen, wenn ich aus dem Haus gehe, weiß ich nicht, ob ich wieder zurückkehren werde. Deshalb schätze ich mein Leben sehr.“ Nasrene, so heißt sie, wohnt schon ihr Leben lang in Kabul und hat dort eine gemütliche Wohnung mit afghanischen Teppichen, vielen Büchern und einer tollen Aussicht auf Kabuls Berge. Ich besuche sie gerne. Wir trinken dann Tee, essen saftige Feigen und tauschen uns über die Arbeit und unser Leben aus. Oft sitzen wir auf ihrer Terrasse und blicken über die Stadt.

Eine schöne Stadt

Kabul ist eigentlich wunderschön. Umgeben von Bergen, liegt die Stadt in einem Tal. An vielen Ecken wird frisches Obst verkauft – besseres habe ich nie gegessen. Überall riecht es nach leckerem Essen. Die Menschen sind kreativ und freundlich, es gibt eine ausgeprägte Künstlerszene. Trotz allem gibt es in jedem Gespräch ein zentrales Thema: der Krieg.

Als Journalistin arbeite ich erst seit zwei Monaten in Afghanistan, wo ich oft das Land auf ungeteerten Straßen bereise oder abgelegene Bergpässe überquere – nie alleine, denn das wäre gefährlich. In Afghanistan muss jeder Schritt genau geplant sein: Mit wem bin ich unterwegs? Wen werde ich treffen? Ist es sicher? Meine Berichte konzentrieren sich auf die Situation der Menschen, die Folgen des Krieges, Flüchtlingspolitik, die schlimme Dürre und den Klimawandel, die dem Land gerade das Wasser rauben.

Angespannte Situation

In den vergangenen Jahren hat sich die Situation hier wieder angespannt mit verbreiteten Attacken der Taliban und des IS. Vor einigen Wochen sind zwei Journalisten ums Leben gekommen, als sie über ein Attentat berichteten und währenddessen im Zentrum eines zweiten Anschlags standen. Für uns andere Journalisten sind solche Nachrichten schlimm und tragisch. Ich habe mich aus dem Grund auch entschieden, nicht über Attentate zu recherchieren.

Was mir im vergangenen Monat aber aufgefallen ist, ist der Zusammenhalt der Menschen. Vor kurzem stand ich mit meinem Taxifahrer Ramin auf dem Weg zum Flughafen im Stau. Alles ist komplett gesperrt, sodass niemand das Gebiet des Flugplatzes unbefugt betreten kann; jedesmal gibt es auf der schmalen Zufahrt zum Parkplatz ein Verkehrschaos. Eine gute Viertelstunde sitzen wir also hier und ich bin angespannt.

Flucht aus Verzweifelung

„Oh man, diese Straße ist immer besonders voll,“ meine ich und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich Angst habe, dass hier jemand eine Attacke ausübt. Ramin nickt und nach kurzem Schweigen: „Ich habe schon so viele Familienmitglieder im Krieg verloren. Einer meiner Brüder ist sogar in Deutschland. Auf dieser Zufahrt habe ich immer solche Angst.“ Uns geht es also beiden so. Wir lächeln, verstehen uns.

Ich denke an Ramins Familie und all das Leid, was er bereits erfahren hat. Es ist nicht gerecht. Für ihn ist es nicht einfach, sein Land zu verlassen. Flüchtlinge werden auch in Europa immer mehr abgelehnt, dabei saßen die Menschen, die diese Entscheidungen trafen, noch nie angespannt mit Ramin im Taxi und hofften auf eine friedliche Autofahrt. Mein Taxifahrer, ein gläubiger Muslim, betet in solchen Situationen. Das tut er sogar jetzt, und ich finde das nett.

Jeder hat seine eigene Strategie, mit solchen Situationen umzugehen – manche beten, andere meditieren, viele haben Panik. Viele kommen komplett an ihre Grenzen und versuchen in Verzweiflung das Kriegsgebiet – das geliebte Heimatland – mit schwerem Herzen zu verlassen. Niemand will fliehen, doch die Not drängt.

Als Journalistin bin ich hier, um die Menschen, über die ich berichte, besser zu verstehen. Den besten Bericht schreibt man, wenn man sich selbst in die Haut des anderen hineinversetzen kann – und fühlt, sieht und hört, was in deren Alltag geschieht. Oft ist das eine Mischung aus Schönem und Schrecklichen, doch wenn ich es ab und zu schaffe, die Distanz zwischen Europa und Afghanistan mit meinen Worten zu überbrücken, dann ist es mir das wert.

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