Angespannte Situation
In den vergangenen Jahren hat sich die Situation hier wieder angespannt mit verbreiteten Attacken der Taliban und des IS. Vor einigen Wochen sind zwei Journalisten ums Leben gekommen, als sie über ein Attentat berichteten und währenddessen im Zentrum eines zweiten Anschlags standen. Für uns andere Journalisten sind solche Nachrichten schlimm und tragisch. Ich habe mich aus dem Grund auch entschieden, nicht über Attentate zu recherchieren.
Was mir im vergangenen Monat aber aufgefallen ist, ist der Zusammenhalt der Menschen. Vor kurzem stand ich mit meinem Taxifahrer Ramin auf dem Weg zum Flughafen im Stau. Alles ist komplett gesperrt, sodass niemand das Gebiet des Flugplatzes unbefugt betreten kann; jedesmal gibt es auf der schmalen Zufahrt zum Parkplatz ein Verkehrschaos. Eine gute Viertelstunde sitzen wir also hier und ich bin angespannt.
Flucht aus Verzweifelung
„Oh man, diese Straße ist immer besonders voll,“ meine ich und versuche mir nicht anmerken zu lassen, dass ich Angst habe, dass hier jemand eine Attacke ausübt. Ramin nickt und nach kurzem Schweigen: „Ich habe schon so viele Familienmitglieder im Krieg verloren. Einer meiner Brüder ist sogar in Deutschland. Auf dieser Zufahrt habe ich immer solche Angst.“ Uns geht es also beiden so. Wir lächeln, verstehen uns.
Ich denke an Ramins Familie und all das Leid, was er bereits erfahren hat. Es ist nicht gerecht. Für ihn ist es nicht einfach, sein Land zu verlassen. Flüchtlinge werden auch in Europa immer mehr abgelehnt, dabei saßen die Menschen, die diese Entscheidungen trafen, noch nie angespannt mit Ramin im Taxi und hofften auf eine friedliche Autofahrt. Mein Taxifahrer, ein gläubiger Muslim, betet in solchen Situationen. Das tut er sogar jetzt, und ich finde das nett.
Jeder hat seine eigene Strategie, mit solchen Situationen umzugehen – manche beten, andere meditieren, viele haben Panik. Viele kommen komplett an ihre Grenzen und versuchen in Verzweiflung das Kriegsgebiet – das geliebte Heimatland – mit schwerem Herzen zu verlassen. Niemand will fliehen, doch die Not drängt.
Als Journalistin bin ich hier, um die Menschen, über die ich berichte, besser zu verstehen. Den besten Bericht schreibt man, wenn man sich selbst in die Haut des anderen hineinversetzen kann – und fühlt, sieht und hört, was in deren Alltag geschieht. Oft ist das eine Mischung aus Schönem und Schrecklichen, doch wenn ich es ab und zu schaffe, die Distanz zwischen Europa und Afghanistan mit meinen Worten zu überbrücken, dann ist es mir das wert.