Weil am Rhein Artenschutz ja – aber wie genau?

Weiler Zeitung
Kulturamtsleiter Tonio Paßlick (Mitte) moderierte die Debatte zwischen Jochen Goedecke vom Nabu (links) und BLHV-Präsident Werner Räpple. Foto: Adrian Steineck Foto: Weiler Zeitung

VHS-Reihe: „Am Puls der Zeit“-Diskussion zum Volksbegehren „Pro Biene“ zieht nahezu 100 Besucher an

Unterschiede und Übereinstimmung: Beides fand sich beim Streitgespräch über das Volksbegehren „Pro Biene“ zum Erhalt der Artenvielfalt. Bei der Veranstaltung der Volkshochschule diskutierten Werner Räpple, Präsident des Badischen Landwirtschaftlichen Hauptverbands (BLHV), und Jochen Goedecke, Referent für Landwirtschaft und Naturschutz beim Umweltverband Nabu, über das derzeit ruhende Volksbegehren.

Von Adrian Steineck

Weil am Rhein. Kulturamtsleiter Tonio Paßlick, der die Diskussion souverän und sachlich leitete, erklärte den knapp 100 Besuchern im nicht ganz voll besetzten Haus der Volksbildung seine Vorgehensweise: „Wir haben abgesprochen, dass ich nicht unterbreche, wenn die Bälle hin und her fliegen.“ Die Konstellation von Landwirtschaftsvertreter auf der einen, Naturschützer auf der anderen Seite versprach in der Tat einiges Potenzial zur Kontroverse. Jochen Goedecke war dabei kurzfristig für David Gerstmeier, den Initiator des Volksbegehrens „Pro Biene“, eingesprungen. Dieser hatte seine Teilnahme aufgrund von Behördenterminen absagen müssen, erklärte Paßlick.

Einigkeit beim Artenschutz

Beide Diskussionsteilnehmer waren sich dahingehend einig, dass Artenschutz zum Erhalt der Biodiversität oder Artenvielfalt unabdingbar ist. Aber, sagte BLHV-Präsident Werner Räpple: „Das Volksbegehren ist kontraproduktiv und geht am Ziel vorbei.“ Die Landwirte seien zwar grundsätzlich auch „pro Biene“ eingestellt, aber Biodiversität fange mit „Vielfalt in der Landwirtschaft und Landschaft“ an. Hinzu komme: „Ökolandbau braucht einen entsprechenden Markt.“ Der aber sei in Deutschland bisher nicht gegeben: „Nur fünf Prozent der Kunden kaufen Bioprodukte“, sagte Räpple.

Der BLHV-Präsident sprach sich auch gegen das – teilweise – Verbot von Pflanzenschutzmitteln in Naturschutzgebieten wie etwa am Kaiserstuhl, wo er selbst als Winzer und Obstbauer tätig ist, aus: „Das geht an der Sache vorbei und würde die regionale Versorgung gefährden.“

Wider das Höfesterben

Jochen Goedecke erinnerte hierzu an das „Insekten-, Vögel- und Höfesterben“: Während es im Jahr 1980 noch gut 146 000 Bauernhöfe in Baden-Württemberg gab, waren es im Jahr 2017 laut dem Statistischen Landesamt noch 40 600 – Tendenz fallend. „Wir müssen den Landwirten eine Zukunft geben“, mahnte der Nabu-Vertreter an. Aber Landwirtschaft sei auch ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel möglich: „Die wachsende Zahl an Bio-Betrieben beweist das“, legte Goedecke dar. Auch der Einzelhandel, der immer stärker auf Bio setze, und Länder wie Russland, in denen der Biolandbau staatlich stark gefördert werde, hätten das verstanden. „Aber die Landwirte haben bei uns noch Angst davor“, sagte Goedecke, was beim Publikum, in dem einige Landwirte saßen, für Unmut sorgte.

Spontanen Applaus erntete Goedecke hingegen für seine Forderung: „Wir müssen Richtlinien für eine umweltverträgliche Landwirtschaft aufzeigen.“ Einig waren sich Goedecke und Räpple darin, dass auch die Konsumenten mit der bewussten Entscheidung für oftmals teurere Bio-Produkte hier ein Zeichen setzen könnten. Aber oftmals herrsche hier noch Nachholbedarf, wie Goedecke mit einem Beispiel verdeutlichte: „Wir haben schon häufig versucht, regionale Produzenten in Schulmensen hinein zu bekommen.“ Das sei aber mitunter schwierig.

Goedecke legte auch dar, dass das Volksbegehren „Pro Biene“ keinen vollständigen Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel vorsehe. Aber: „Diese Mittel sollen wie eine Notfallapotheke eingesetzt werden.“ Dies sei im Übrigen im Einklang mit den Vorgaben der Europäischen Union (EU), die chemisch-synthetische Pestizide als Mittel der Wahl nur dann sieht, wenn alle anderen Möglichkeiten versagt haben.

Publikum diskutiert mit

Hierzu meinte Räpple, dass die Landwirte gerne auf Pestizide verzichten würden, da diese auch kostspielig seien. „Aber wir haben ein Problem damit, wenn es heißt, wir sollen 40 Prozent weniger chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel einsetzen, und die Wissenschaft kann uns dann nicht sagen, was jetzt richtig ist.“

Im abschließenden Teil des Abends wurde die Diskussion für das Publikum geöffnet. Der Ötlinger Winzer Dieter Rösch verwies auf Schädlinge wie die Fruchtessigfliege, die über Importprodukte eingeschleppt werde und der ohne chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel nicht beizukommen sei: „Was nutzen abgestorbene Bäume der Biene?“ Hierzu verwies Dieter Rösch auf den zuvor erwähnten Vergleich mit der „Notfallapotheke“. Ein Zuhörer sprach sich dafür aus, das Gesamtbild zu betrachten: „Jeder kann etwas für die Artenvielfalt tun.“ Aber der früher in vielen Dörfern obligatorische Komposthaufen im Garten sei heutzutage praktisch nicht mehr zu finden.

Moderator Tonio Paßlick fasste zusammen: „Wir können ein solches Thema in 90 Minuten nicht erschöpfend behandeln, aber wir wollen bei der Meinungsbildung helfen.“ Dabei sei es gewollt, dass das Gehörte mitunter eher zur Beunruhigung als zur Beruhigung beitrage.

 Das Volksbegehren „Pro Biene“ liegt in den Rathäusern aus. Es ruht bis Mitte Dezember, da das Land einen Gesetzesentwurf vorgelegt hat. Wenn bis Mitte März 770 000 Unterschriften zusammenkommen, wird das Begehren dem Landtag vorgelegt. Der nächste Termin für die Diskussionsreihe „Am Puls der Zeit“ und das Thema stehen noch nicht fest.

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