Weil am Rhein Das „Selbstverständliche“ schätzen

Saskia Scherer
Im „Streuobst-Klassenzimmer“ von Armin Wikmann am Tüllinger Berg Foto: zVg

Natur: Armin Wikmann spricht über die Anerkennung des Streuobstanbaus als Immaterielles Kulturerbe

Weil am Rhein - Das Streuobst ist nun „Immaterielles Kulturerbe“. Ende März hat die Kultusministerkonferenz beschlossen, den Streuobstanbau in das nationale Verzeichnis aufzunehmen. Im Gespräch mit unserer Zeitung äußert sich der  Weiler Armin Wikmann, Vorsitzender des Vereins „Streuobst-Klassenzimmer“, über die Bedeutung dieser Anerkennung und blickt auf die Geschichte des Streuobsts zurück.

Die Umwelt- und Naturschutzverbände Nabu, BUND und LNV in Baden-Württemberg freuen sich mit dem Verein Hochstamm Deutschland über die Anerkennung des Streuobstanbaus als Immaterielles Kulturerbe. „Die Würdigung kommt zur richtigen Zeit. Sie ist ein toller Erfolg für alle 1,3 Millionen Unterstützerinnen und Unterstützer des Antrags und eine Steilvorlage für die künftige Landesregierung, dem Streuobstanbau noch deutlich mehr Engagement zu widmen“, sind sich die Verbände in einer Mitteilung einig.

Auch Wikmann freut sich über die Wahrnehmung. „Darum geht es, um den Fokus“, meint er. Es sei ähnlich wie bei der Auszeichnung „Vogel des Jahres“ – man besinne sich wieder darauf zurück, was es alles in der Natur gibt. Junge Familien, aber auch ältere Personen seien besonders empfänglich dafür. „Da kommt Ehrfurcht auf, die Menschen haben Achtung vor dem ,Selbstverständlichen’.“ Und nur das könne man schützen und bewahren. „Das bringen wir ja auch im Streuobst-Klassenzimmer so bei.“

Apropos Streuobst-Klassenzimmer: Dort ist der „Betrieb“ coronabedingt heruntergefahren. „Im vergangenen Jahr waren noch Angebote mit Abstrichen möglich, etwa die Hälfte konnten wir durchführen“, berichtet Wikmann. „Aber nun, auch wegen der sprunghaften Veränderungen in allen Bereichen, ist keine Kontinuität gegeben.“ Für die Lehrer sei ja schon der „normale“ Unterricht kaum planbar. Wobei sich laut Wikmann das Streuobst-Klassenzimmer auf seinem Grundstück am Tüllinger Berg ideal eignen würde: „Man ist draußen und kann Abstand halten.“ Aber aktuell funktioniere es einfach nicht.

„Wir sind aber gerüstet – mit Elan, Freude und Material“, sagt der Naturschützer. „Das wird wieder. Und der Bedarf ist ja da.“ Erst kürzlich habe er sich mit Spaziergängern am Tüllinger unterhalten – unter anderem über Wildtulpen, die aktuell blühen. Auf dem Grundstück habe er außerdem „viel Tolles“ gesehen an Insekten und Pflanzen, auch an der im vergangenen Jahr gebauten Trockenmauer. „Im Herbst können wir hoffentlich wieder neue Bäume mit Schülern pflanzen“, blickt Wikmann voraus.

Mit verschiedenen Arten und Sorten

Viele kennen den Begriff Streuobst, weiß der Naturschützer. Aber was verbirgt sich eigentlich dahinter? Auf den Wiesen lasse sich der Baum gut als Einzel-Element erkennen, die Bestände können verschiedene Arten und Sorten jeglicher Altersstruktur umfassen. Zwischen Ertragsbäumen, jungen sowie abgängigen Bäumen sei aber ein gewisses Verhältnis wichtig.

Seinen Höhepunkt hatte der Streuobstanbau um 1930 herum, weiß Wikmann. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging der Trend dann zum Plantagenanbau. „Auf vielen Flächen wurden Bäume gerodet, die eigentlich gut waren.“ Allein am Bodensee seien 1,5 von zwei Millionen Obstbäumen gefällt worden. Außerdem sei das Interesse am Selbstversorger-Anbau erlahmt.

„Frisches Obst aus dem Ausland wurde ganzjährig verfügbar, das hat damals schon angefangen.“ Auch im Zuge von Flurbereinigungsverfahren sei die Landschaft „regelrecht entrümpelt“ worden, zudem seien durch die zunehmende Bautätigkeit viele Streuobstbestände zerstört worden. „Es herrschte also Druck von allen Seiten.“ In Hanglage habe man die Streuobstwiesen so gelassen, wie auch am Tüllinger. Dort würden allerdings nur 25 Prozent der Flächen fachmännisch gepflegt, 50 Prozent gar nicht und die restlichen 25 Prozent seien in einem schlechten Zustand. „Die Bestände sind stark überaltert.“

Ab 1980 habe der Streuobstbau eine Renaissance erlebt, auf Initiative von Natur- und Umweltkreisen. „Das war ein richtiger Hype.“ Ab dann sei weniger gerodet und wieder mehr gepflanzt worden.

Streuobstbau ist eine Form des Obstbaus, bei dem mit umweltverträglichen Bewirtschaftungsmethoden Obst auf hochstämmigen Baumformen erzeugt wird. Die Bäume stehen im Gegensatz zu niederstämmigen Plantagenobstanlagen häufig „verstreut“ in der Landschaft. Streuobstbeständen gemeinsam ist die regelmäßige Nutzung sowohl der Hochstamm-Obstbäume (Obernutzung) als auch der Flächen unter den Bäumen (Unternutzung). Quelle: www.nabu.de

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