^ Weil am Rhein: Den Finger in die Wunde legen - Weil am Rhein - Verlagshaus Jaumann

Weil am Rhein Den Finger in die Wunde legen

Ingmar Lorenz
Was geschah in Weil am Rhein während der Herrschaft der Nationalsozialisten? Eine professionelle Aufarbeitung soll Licht ins Dunkel bringen. Foto: zVg/Sammlung Dreiländermuseum

Interview: Stadträtin Irmgard Lorenz über den Antrag zur Aufarbeitung der NS-Zeit in Weil am Rhein

Mit einem gemeinsamen Antrag zur Aufarbeitung der NS-Zeit in Weil am Rhein, den die Gemeinderatsfraktionen der Grünen und der Freien Wähler kürzlich eingebracht haben, soll eine Lücke in der Betrachtung der Weiler Geschichte geschlossen werden. Damit wird kommunalpolitisch auch an Bestrebungen angeknüpft, die bereits vor vielen Jahren im Gespräch waren.

Von Ingmar Lorenz

Weil am Rhein. Im Interview mit unserer Zeitung erklärt Grünen-Stadträtin Irmgard Lorenz, die den gemeinsamen Antrag jüngst im Gemeinderat vorgestellt hat, wie dieser zustande gekommen ist und zeichnet den bisherigen Weg hin zu einer professionellen Aufarbeitung der NS-Zeit in Weil am Rhein nach.

Frage: Frau Lorenz, seit wann steht das Thema „Aufarbeitung der NS-Zeit in Weil am Rhein“ bei den Weiler Grünen auf der Agenda?

Vorwiegend stehen bei uns auf der Agenda natürlich klassisch grüne Themen, aber die Positionierung gegen Rechts gehört absolut auch dazu. Natürlich haben wir in den letzten Jahren verfolgt, wie in einigen Nachbargemeinden die Aufarbeitung professionell vorangetrieben wurde und in Weil am Rhein einfach nichts passierte. Das wollten wir mit dem interfraktionellen Antrag nun endlich ändern.

Nicole Sütterlin, unsere Fraktionskollegin, hat mit ihrer Familie im Mai 2020 ein sehr berührendes Zeitungsinterview geführt, in dem es um die Geschichte ihres Großvaters Gerrit Oldeboershuis ging, der in der NS-Zeit Bürgermeister von Haltingen war und wohl auch für diverse damals begangene Taten verurteilt, aber später begnadigt wurde.

Frage: Gab es von kommunalpolitischer Seite in Weil am Rhein bereits früher Vorstöße in Richtung einer Aufarbeitung der NS-Zeit?

Anscheinend hat sich der Gemeinderat im Jahr 2013 der Aufarbeitung gegenüber schon einmal positiv positioniert, warum es dann aber damals nicht unmittelbar zur Umsetzung kam, ist mir nicht bekannt. Dr. Uwe Kühl vom Verein für Heimatgeschichte hatte immer betont, dass die Initiative von Gemeinderat und Verwaltung ausgehen müsse. Oberbürgermeister Dietz hatte mehrmals ausgeführt, das Projekt gerne mit den französischen Kollegen aus Hüningen gemeinsam anzugehen, da die Geschehnisse ja zum Teil eng verwoben waren; praktisch geschehen ist aber nichts.

Dann kam bekanntlich Corona und andere Dinge rückten in den Fokus. In einer der letzten Sitzungen hatte ich selbst nochmals nachgefragt, und von Herrn Dietz die Auskunft erhalten, dass an eine gemeinsame Arbeit mit den Hüningern nicht mehr zu denken sei, da diese keine finanziellen Mittel hätten. Hauptamtsleiterin Annette Huber wies darauf hin, dass Sie mit Dr. Kühl im Austausch sei, aber die Stelle des Stadtarchivars damals nicht besetzt war und sich alles verzögere.

Frage: In anderen Gemeinden und Städten wurde der Aufarbeitung der NS-Zeit bereits früher mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Warum war das in Weil am Rhein – zumindest in größerem Rahmen – nicht der Fall?

Warum das in Weil am Rhein konkret so lange dauert, kann ich nicht wirklich beantworten. Da kann ich nur vermuten, dass die Auseinandersetzung mit dieser dunklen Zeit unserer Geschichte immer noch alte Wunden aufreißt, denen sich viele Menschen nicht unbedingt gerne stellen wollen. Die Familie von Frau Sütterlin hat ja auch betont, wie schmerzhaft die Erkenntnisse für sie waren.

Die Nachkriegsgeneration zeichnet sich nicht gerade dadurch aus, dass sie bereit ist, „die Leichen aus dem Keller“ zu holen. Es ist nun eher die Generation der Enkel, die bereit ist, aufzuarbeiten und Dinge öffentlich zu machen.

Mit unserem fraktionsübergreifenden Antrag wollen wir diese Arbeit nun endlich möglich machen und hoffen, dass sich zeitnah eine geeignete Persönlichkeit finden lässt, um die professionelle Abwicklung zu gewährleisten. Soweit ich weiß, hat der Historiker Robert Neisen gerade eine Arbeit in einer Nachbargemeinde beendet und könnte für diese Aufgabe eventuell angefragt werden.

Frage: Wie kam es bezüglich des gemeinsamen Antrags zur Zusammenarbeit mit den Freien Wählern?

Innerhalb des Gemeinderats tauschen wir uns natürlich regelmäßig aus, zum Teil auch, wenn geplant ist, Anträge zu stellen. Eugen Katzenstein und ich hatten beide unabhängig voneinander mit Dr. Kühl vom Geschichtsverein Kontakt und wir sahen beide die Notwendigkeit, nun endlich aktiv an die Sache heranzugehen. Geschichtliche Aufarbeitung wird nicht einfacher, je mehr Zeit vergeht.

Frage: Gab es bereits einzelne, kleinere Bestrebungen zur Aufarbeitung der NS-Zeit, an die man nun gegebenenfalls anknüpfen kann?

Der Weiler Verein für Heimatgeschichte ist, soweit ich weiß, seit über zehn Jahren dabei, die NS-Zeit genauer aufzuarbeiten und hat zum Thema auch Fachvorträge organisiert, die auf breites Interesse stießen.

Frage: Die Parteien am rechten Rand sind in vielen Teilen Europas erstarkt. In der Ukraine tobt Krieg, was sich noch vor kurzer Zeit kaum jemand vorstellen konnte. Messen Sie auch vor dem Hintergrund dieser jüngsten Entwicklungen der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit auf lokaler Ebene eine besondere Bedeutung bei?

Die Wiedererstarkung der rechten Parteien und der Krieg in der Ukraine sind für Europa und unsere Demokratie meiner Meinung nach eine starke Bedrohung. Nicht auszudenken, wenn die Wahlen in Frankreich zugunsten von Marine Le Pen ausgegangen wären.

Kriegsverbrechen, wie sie derzeit in der Ukraine geschehen, müssen zeitnah dokumentiert und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden. Das trifft sowohl für vergangene Zeiten als auch für die Gegenwart zu.

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading