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Weil am Rhein Die NS-Vergangenheit wird untersucht

Kathryn Babeck
Dieses Bild zeigt eine Kundgebung aus den 1930er-Jahren aus den Beständen des Stadtarchivs Weil am Rhein. Die Quelle ist unbekannt Foto: Stadtarchiv Weil am Rhein

Dieses Jahr soll mit der Aufarbeitung der Geschichte Weils während des Nationalsozialismus begonnen werden.

Im Gespräch mit dieser Zeitung stellt Robert Neisen seine Vorgehensweise vor. In der Region ist er bei geschichtlich Interessierten kein Unbekannter: 2006 hat er ein Büro für Unternehmens- und Stadtgeschichte in Freiburg gegründet. Der promovierte Historiker hat seitdem in einigen Städten in Südbaden die NS-Vergangenheit unter die Lupe genommen, so unter anderem in Lörrach, Villingen und Ehrenkirchen. Des Weiteren hat er die Ausstellung „Nationalsozialismus in Freiburg“, die im Augustinermuseum von November 2016 bis Oktober 2017 zu sehen war, kuratiert. Die Weiler Räte seien direkt auf ihn zugegangen, sagt er. Vermutlich auch, weil er im Weiler Geschichtsverein vor Jahren einen Vortrag gehalten hat.

Das Konzept

Seiner Schilderung zufolge werde nicht die gesamte Zeit von 1933 bis 1945 untersucht. Vielmehr gibt es „punktuelle Tiefenbohrungen“: Ein zentraler Aspekt werde die „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten im Jahr 1933 sein. Die Wahlergebnisse seien sehr unterschiedlich ausgefallen, sagt Neisen. In Weil und Haltingen gab es eine starke Arbeiterschaft, deshalb erhielt die KPD viele Stimmen und die Nationalsozialisten schnitten im Vergleich zum gesamten Deutschen Reich unterdurchschnittlich ab. Im protestantisch geprägten Ötlingen hingegen votierten viele für die Nazis. In diesem Zusammenhang werde unter anderem das Verhalten der örtlichen Parteiorganisationen wie der Sturmabteilung (SA), der NSDAP oder der Hitlerjugend (HJ) analysiert werden.

Wirtschaftsgeschichte

Ein wichtiger Aspekt seien Forschungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Die Nationalsozialisten hätten Aufschwung und Wohlstand versprochen. Das habe sich nur zum Teil bewahrheitet, sagt Neisen. Große Projekte seien zumeist in den Planungen stecken geblieben.

Schicksal der Betroffenen

Zentral sind die Schicksale der Betroffenen des NS-Regimes. Die Verfolgung der Kommunisten werde wegen der bedeutenden Rolle der KPD in Weil und Haltingen einen großen Raum einnehmen. Juden hätten wenigere in Weil als in Lörrach gelebt, sagt Neisen zu dieser Gruppe. Ob Sinti und Roma in den Gemeinden waren, könne er zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht sagen. Die Euthanasie, die systematische Ermordung von Menschen mit Behinderungen, und die Zwangssterilisierungen werden untersucht. Eine weitere bedeutende Gruppe sind die Zwangsarbeiter. So mussten sie unter anderem nach der Zerstörung von Haltingen am 11. Juni 1940 beim Wiederaufbau helfen.

Eine bisher wenig untersuchte Gruppe: Polnische Zwangsarbeiter bei den Aufräumarbeiten in Haltingen.

Die Täterfrage

Die Forschung zu den Tätern werde ein weiterer wichtiger Baustein sein. So lägen schon Untersuchungen vom Soziologen Heiko Wegmann zum SS-Mann Hermann Preusch aus Weil vor. Preusch war zunächst Ortsbeauftragter der NSDAP bei der Verbrauchergenossenschaft Weil am Rhein-Haltingen, später war er als Leiter des Referats „Judenmischlinge“ im Rasse- und Siedlungshauptamt der SS (RuSHA) unter anderem für Zwangssterilisationen verantwortlich. Die Rolle des NS-Bürgermeister in Haltingen, Gerrit Oldeboershuis, ist auch bereits von Historikern beleuchtet worden. Er war für den Tod von mindestens 95 Häftlingen im KZ-Außenlager Kochem-Bruttig-Treis, ein Außenlager vom KZ Natzweiler-Strutthof in dem von den Deutschen besetzten Elsass, verantwortlich.

Kriegsende

Die Forschungen enden jedoch nicht im Jahr 1945. Der Historiker wird sich der Nachkriegszeit, der Frage der sogenannten Entnazifizierung und der Erinnerungskultur widmen. Das heißt, dass beleuchtet wird, an was und wen die Stadt nach dem Krieg gedachte, wer geehrt und was verdrängt wurde.

Polnische Zwangsarbeiter: Ihre Biografie wird kaum mehr aufzuarbeiten sein. Zu viel Zeit ist vergangen

Aktenlage

Die Überlieferung im Stadtarchiv, mit Ausnahme der Gemeinde Märkt, zur NS-Geschichte ist gut, sagt Neisen. „Es gab keine weitreichende Säuberung im Archiv.“ Die Forschungen werden sich nicht auf das Stadtarchiv beschränken. Neisen wird Akten im Staatsarchiv Freiburg vom Bezirksamt Lörrach, ab 1939 hieß es Landratsamt, auswerten. Da habe es einen intensiven Schriftwechsel zwischen dem Bezirksamt Lörrach und der Stadt Weil gegeben, erläutert er. Auch die Sondergerichtsakten, diese geben Einblicke zur Situation der politisch Verfolgten, sind eine zentrale Quelle zur Aufarbeitung. Derzeit liegen ihm des Weiteren zehn Zeitzeugenberichte vor. Diese müssten ausgewertet werden.

Die großen Linien

Aufgrund seiner Erfahrungen in Fragen NS-Aufarbeitung, sagt Neisen, der „Faktor Konfession“ sei entscheidend. „Je protestantischer ein Ort, je NS-affiner war die Bevölkerung.“ Gab es eine radikale Arbeiterschaft, traten Klassenkonflikte auf. Das wohlhabende Bürgertum schlug sich auf die Seite der NSDAP. Beim katholischen Bürgertum sei dies, selbst wenn dies weniger empfänglich für die NS-Ideologie gewesen war, häufig der Fall gewesen. „Lokale Faktoren, der kommunale Eigensinn, waren von großer Bedeutung.“ Damals waren viele Gruppen in der Krisenzeit nicht bereit, Abstriche zu machen. Das sei mit heute vergleichbar. Im Gegensatz zu damals gebe es einen entscheidenden Unterschied: „Die wirtschaftlichen, politischen, militärischen und die Verwaltungseliten sind demokratisch gesinnt“, sagt Neisen. Und: „Den „Komplex der Kriegsschuld, den tief greifenden Hass gegenüber Frankreich gibt es nicht mehr.“

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