Weil am Rhein Ein Attentat und versteckte Zeichnungen

Kathryn Babeck
Barbara Brutscher mit einer großgezogenen Skizze von Nicolas Barrera. Der Künstler hat sich beim Verhör selbst gezeichnet. Foto: Kathryn Babeck

Mit Georg Elser und Nicolas Barrera zeigt das Museum am Lindenplatz zwei Biografien aus der Zeit des Nationalsozialismus.

„Nie wieder! Zwei Schicksale im Nationalsozialismus – Nicolas Barrera & Georg Elser“ heißt die Schau, für die sich die promovierte Politologin und Museumsleiterin Barbara Brutscher entschieden hat. „Sie soll vor den Europawahlen gezeigt werden.“ Damit will sie die demokratischen Werte Europas ins Bewusstsein rufen. Die Ausstellung fordert dazu auf, sich zu positionieren und sich mit diktatorischen Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Sie steht im Zusammenhang der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in Weil am Rhein, die demnächst beginnen soll.

Das Leben von Georg Elser

Der Schreiner, der ein Attentat auf Adolf Hitler akribisch vorbereitet hatte, hätte den Lauf der Geschichte verändern können, wenn er mit dem Anschlag Erfolg gehabt hätte. Viele Parteigrößen befanden sich am 8. November im Münchner Bierkeller. Hitler verließ entgegen der Annahme Elsers diesen bereits um 21.07 Uhr, die Bombe explodierte 13 Minuten später. Sieben Menschen starben bei dem Attentat, darunter sechs Nationalsozialisten und eine Kellnerin. Die Explosion verletzte zahlreiche Menschen.

Noch am selben Abend nahmen zwei Zollbeamte Elser fest. Die Gestapo verhörte und folterte ihn. Seine gesamte Familie kam in Untersuchungshaft. Als die NS-Führung am Kriegsende erkannte, dass der Krieg verloren war, erschoss ein SS-Oberscharführer Elser am 9. April 1945 im Konzentrationslager Dachau. Erst in den 1980er- und 1990er-Jahren erhielt Elser in der Bundesrepublik eine angemessene Würdigung.

Das Leben von Nicolas Barrera

Nicolas Barrera heißt eigentlich Nicolai Drozd und ist in der Ukraine, in Tschernihiw, 1919 zur Welt gekommen. Das genaue Geburtsdatum sei unbekannt, erklärte Brutscher. Deshalb sei es schwierig, Dokumente in den Archiven zu dem Künstler zu finden. Nicolas Barrera studierte in Leningrad, Sankt Petersburg, an der Kunstakademie. Die Sowjets haben ihn nach dem Angriff auf Finnland als Offizier eingezogen. Schon damals stand er dem Krieg kritisch gegenüber. Nach dem Angriff Nazi-Deutschlands musste er erneut in den Krieg ziehen. 1943 geriet er in Gefangenschaft und musste in dem deutschen Konzentrationslager Leipzig-Thekla, einem Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald, Zwangsarbeit leisten. Auf kleinste Zettel hielt er mit Bleistift, Tusche, Kreide oder Kohle die Gräueltaten im Lager fest. Die Zeichnungen, oft schnell hingeworfen, deuten auf die Hand eines routinierten Künstlers hin. Den Betroffenen verleiht er Würde, zuweilen stellt er sie mit geballter Faust und aufrechter Haltung dar. Die Täter überzeichnet er bis hin ins Karikaturenhafte.

Im Konzentrationslager: eine Zeichnung von Nicolas Barrera Foto: Kathryn Babeck

Beim Aufräumengefunden

Bei seiner Flucht aus dem Lager kurz vor Kriegsende gelingt es ihm, die Zeichnungen mitzunehmen. Er versteckt sie in seiner Wohnung in der Camargue. Seine Frau fand sie beim Aufräumen. „Ich habe sie vor mir selbst versteckt“, erklärte er ihr. So lautet auch der Titel der Ausstellung. Seine Frau solle mit ihnen machen, was sie wolle, habe er zu ihr gesagt, erzählt Brutscher. Der Mann, der nach dem Krieg vor den Sowjets fliehen musste und in Spanien den Decknamen Nicolas Barrera annahm, hat als Künstler in der Nachkriegszeit Karriere gemacht. 1976 lernte er seine zweite Frau Inken Vogt kennen und verbrachte danach immer ein halbes Jahr in Weil und ein halbes Jahr in Frankreich.

Eröffnung, Gestaltung und Programm

Die Ausstellung
wird am Freitag, 12. April, um 17.30 Uhr im Museum am Lindenplatz eröffnet. Sie ist bis Sonntag, 21. Juli zu sehen.

Was wo zu sehen ist:
Im Erdgeschoss des Museums hat Barbara Brutscher Roll-ups der Wanderausstellung „Ich habe den Krieg verhindern wollen“ auf die einzelnen Räume verteilt. Es ist eine Wanderausstellung der Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Die Ausstellung thematisiert das Leben von Georg Elser (1903 bis 1945) und das Attentat im Münchner Bürgerbräukeller vom 8. November 1939, zwei Monate nach Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die Ausstellung zu Nicolas Barrera baut die Museumsleiterin im zweiten Stock des Museums auf. Ein Teil der Wände soll grün, ein anderer braun gestrichen werden. Die Ehefrau und Künstlerin Inken Drozd wolle bei der Hängung der Bilder mithelfen, sagte Brutscher. Drozd hat die Biografie ihres Mannes verfasst. Vor seinem Tod habe er sie abgesegnet, fügt Brutscher hinzu. Der Künstler ist am 11. Juni 2006 verstorben und auf dem Hauptfriedhof in Weil am Rhein beigesetzt. Kleine brüchige Zeichnungen liegen in den Vitrinen. Einige hat die Museumsleiterin vergrößern lassen. Neben Landschaftszeichnungen aus der hiesigen Gegend will Brutscher ein Porträt von Drozd zeigen. Die Ausstellung „Ich habe sie vor mir selbst versteckt“ zeigt ihn als Dokumentaristen menschlicher Abgründe. Er legt als Künstler Zeugnis ab. Die Zeichnungen zeigen die direkte und unmittelbare Umsetzung des Erlebten. Die US-Amerikaner haben sie nach dem Krieg in der Militärzeitschrift „Yank“ veröffentlicht. Seine Mitgefangenen haben ihm voller Hoffnung, Papier und Stifte zugesteckt.

Die Museumsleiterin
Barbara Brutscher hat zur Ausstellung ein umfassendes Rahmenprogramm erstellt. Unter anderem gibt es Sonntagsführungen, Schülerangebote, eine szenische Lesung und der Film „Elser – Er hätte die Welt verändert“ von 2015 wird gezeigt. Anlässlich des Jahrestags des Kriegsendes am 8. Mai gibt es einen Vortrag des Historikers und Professors Wolfgang Benz, dem ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.

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