Weil am Rhein Einblick in „Kitsch und Eleganz“

Weiler Zeitung
Sottsass Associati, Interieur für eine Ausstellung über italienisches Design in Tokyo, 1984 Foto: Marirosa Ballo

Vorschau: Neue Ausstellung in der Vitra Design Museum Gallery / Coronabedingt aktuell nicht besuchbar

Weil am Rhein - Zum 40. Gründungsjahr des italienischen Design-Kollektivs Memphis gibt die Ausstellung „Memphis. 40 Jahre Kitsch und Eleganz“ in der Vitra Design Museum Gallery anhand von Objekten, Zeichnungen und Archivmaterial einen Einblick. Die Ausstellung sollte ursprünglich ab dem 6. Februar zu sehen sein, allerdings ist der Vitra Campus coronabedingt derzeit geschlossen. Die Ausstellung läuft aber bis zum 23. Januar 2022.

Unter den Ausstellungsstücken sind Werke unter anderem von Ettore Sottsass, Michele De Lucchi, Martine Bedin, Michael Graves, Barbara Radice, Peter Shire, Nathalie Du Pasquier und Shiro Kuramata.

Die Gruppe entstand im Winter 1980/81, als sich um den italienischen Designer und Architekten Sottsass eine Gruppe junger Designer versammelte, die aus den Dogmen des Industriedesigns ausbrechen wollten, heißt es in der Ankündigung. Bereits im September 1981 erlangte die Gruppe mit der Präsentation ihrer ersten Kollektion in der Mailänder Galerie Arc’74 internationale Aufmerksamkeit. Die Memphis-Entwürfe wirkten mit ihren schrillen Farben und Mustern wie aus einem Comic entsprungen und prägten einen völlig neuen Look, in dem sich Popkultur, Werbeästhetik und Postmoderne zu einem wilden Mix verbanden.

Das Diktat des Funktionalismus überwinden, das Banale oder Alltägliche feiern und die Regeln des guten Geschmacks brechen: Das waren die Ziele des Kollektivs. Seine Gestaltungsphilosophie war auch durch die gerade entstehende Informationsgesellschaft geprägt. Wie Fernseher und Computer sollten die Memphis-Objekte mit dem Betrachter kommunizieren und eine eigene, unverwechselbare Geschichte erzählen. Der endgültige Durchbruch erfolgte 1982, als Modezar Karl Lagerfeld seine Wohnung in Monte Carlo mit Memphis-Möbeln einrichtete.

Name stammt aus Lied

Der Name „Memphis“ stammt angeblich aus Bob Dylans Song „Stuck Inside of Mobile with the Memphis Blues Again“, der bei einem der ersten Treffen der Gruppe lief, heißt es weiter. Sottsass konnte bei der Gründung der Gruppe bereits auf eine längere Laufbahn zurückblicken. Seit den 1960er-Jahren hatte er mit skulpturalen Möbeln experimentiert, die er als „Totems“ bezeichnete und mit bunten Plastiklaminaten beklebte. Auch der Stuhl „Seggiolina da Pranzo“ (Stuhl für das Mittagessen), den Sottsass 1978 für Studio Alchimia entwarf, zeigt die Laminatmuster, die später zum Memphis-Markenzeichen wurden.

Zu den wichtigsten Memphis-Objekten zählen Sottsass’ raumgreifende Regalentwürfe, darunter das Modell „Beverly“ (1981), das in der Ausstellung zu sehen ist. Der Entwurf vereint seltsam disparate Elemente wie einen Chrombügel, eine bunte Glühbirne und Laminate in Wurzelholz- und Schlangenhautoptik in einer meisterhaften Komposition zwischen Kitsch und Eleganz.

Auch die Leuchte „Super“, die 1981 von Martine Bedin entworfen wurde, gilt als eine der Memphis-Ikonen. Ihre halbkreisförmig gereihten Glühbirnen kennt man von Rummelplätzen oder Diner-Restaurants – doch auf Räder gestellt und mit einem Kabel versehen, ergeben sie ein Lichtobjekt, das an ein seltsames Haustier oder ein Kinderspielzeug erinnert.

Das Spiel mit unterschiedlichen Bedeutungen und Bezügen kennzeichnet viele Memphis-Entwürfe und machte die Gruppe zu der wohl einflussreichsten Bewegung der Postmoderne im Design. Viele Memphis-Mitglieder standen bei der Gründung der Gruppe am Anfang ihrer Laufbahn und wurden durch Memphis weltweit bekannt. So sind Matteo Thun und Michele De Lucchi bis heute international als Industriedesigner tätig.

Tisch, Stuhl und Leuchte

Die Ausstellung zeigt neben De Lucchis Tisch „Kristall“ auch seinen Stuhl „First“ (beide 1981), bei dem kugelförmige Aufsätze auf den Armlehnen den Sitzenden wie Planeten umkreisen. De Lucchis ebenfalls 1981 entstandener Stuhl „Riviera“ wiederum gibt bereits eine Kostprobe der Pastellfarben, die der Designer wenige Jahre später auch bei einer Serie experimenteller Haushaltsgeräte für Philips einsetzen sollte. Diese Entwicklung ist laut der Ankündigung kennzeichnend für die rasante Verbreitung der Memphis-Einflüsse, die das Design und die Alltagsästhetik in den 1980er Jahren bunter und spielerischer werden ließen.

Ein weiteres wichtiges Memphis-Mitglied war Nathalie Du Pasquier, die die Ideen der Gruppe auf raffinierte Textilmuster und Interieurentwürfe übertrug. Ihre Zeichnungen sind in der Ausstellung ebenso zu sehen wie Skizzen des amerikanischen Architekten Michael Graves, der lose mit der Gruppe verbunden war.

Bis zur abrupten Auflösung der Gruppe 1987 blieb Memphis ein eher loser Zusammenschluss gleichgesinnter Designer, von denen manche auch nur einzelne Entwürfe beisteuerten.

Die Ausstellung in der Vitra Design Museum Gallery ist eine Hommage an die kurze, aber umso intensivere Ära der Gruppe Memphis, deren Energie und Gestaltungswille bis heute faszinieren. Oder, wie Memphis-Mitglied Barbara Radice es formulierte: „Memphis zog aus, um das Image des internationalen Designs zu verändern, und es wählte den effektivsten, direktesten und verwegensten Weg.“

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