Weil am Rhein Ernst Giesel schreibt das Familienbuch für Märkt

Kathryn Babeck
  Foto: Saskia Scherer

Ernst Giesel erstellt Familienbücher. Das nächste entsteht für die Ortschaft Märkt. Was ihn zu dieser aufwendigen Arbeit veranlasst, hat er dieser Zeitung erzählt.

Seine Eltern schenkten Ernst Giesel zu seinem 21. Geburtstag ein Familienbuch von Efringen-Kirchen. Sein Name ist darin gestanden, aber nicht der seiner jüngeren Schwester, die 1962 zur Welt kam. Giesel ist Jahrgang 1951 und das Ortsfamilienbuch endet im Jahr 1959. In dem Buch habe er jedoch seine Vorfahren bis bis ins Jahr 1588 zurückverfolgen können. Die jüdischen Bürger von Efringen-Kirchen sind ebenfalls mit Geburts- und Sterbedatum aufgelistet.

Quelle für Forschung

Gerade für Betroffene von Flucht und Vertreibung sind derartige Familienbücher eine wichtige Quelle, um Spuren ihrer Vorfahren ausfindig zu machen. Ernst Giesel, der heute in Haltingen wohnt, fühlt sich dieser Erinnerungskultur verpflicht. Sein Großvater, Wilhelm Giesel sei mit dem jüdischen Pferdehändler Julius Bloch eng befreundet gewesen, erzählte er. Dieser habe ihn gebeten, ihm ein Feld abzukaufen, damit er über das notwendige Geld verfüge, um seiner Mutter die Ausreise bezahlen zu können. Ende 1938 sei der Familie Bloch die Flucht aus dem Deutschen Reich gelungen.

Es war auch sein Großvater, der zwei Thorarollen aus Efringen-Kirchen gerettet hat, eine befindet sich heute in Israel und eine in Kalifornien in privatem Besitz. Die dritte ist damals verbrannt. Ernst Giesels Vater und sein Großvater hatten beide das Pogrom 1938 in Efringen-Kirchen miterlebt.

Eigene Familiengeschichte

Von 1975 bis 1990 hat der ehemalige Versicherungskaufmann in Auggen gewohnt. An dem 75. Geburtstag seiner Mutter Lore Giesel, erhielt sie einen einen Anruf, mit dem sie wahrhaft nicht rechnen konnte. Elisabeth Leiniger aus Auggen offenbarte ihr, dass sie ihre Halbschwester ist. Ernst Giesel wohnte damals selbst neben einer Familie Leiniger und im Ort lebten zahlreiche Personen mit diesem Namen.

Ernst Giesel wohnt in Haltingen und ist in der Gegend hier verwurzelt. Foto: Kathryn Babeck

Dieser Anruf war der Grund, mehr über mehr über seine eigenen Familienverhältnisse zu erfahren. Ernst Giesel setzte sich daran, dass Ortsfamilienbuch von Auggen zu erarbeiten. Fünf Jahre hat er dafür benötigt. „Inzwischen weiß ich alles über meine Familie“, erzählt er. 15 000 Namen und Daten hat er dazu zusammengetragen.

Grundlage Kirchenbücher

Ab 1556 haben Pfarrer nach der Reformation Taufbücher sowie Ehe-und Sterberegister angelegt, zum Teil mit Verweisen wie „Hurenkind“, wenn Neugeborene unehelich zur Welt gekommen waren. Aus diesen Informationen erstellt Giesel Familienbücher wie jenes in Auggen. Darin befinden sich unter anderem Namen von Kindern ehemaliger Zwangsarbeiterinnen, die bei der Firma Richtberg gearbeitet hatten. Eine Hebamme in der Auggener Geburtsanstalt brachte diese und andere an den Rande der Gesellschaft gedrängte Kinder zur Welt.

Brände im Dreißigjährigen Krieg haben viele Dokumente zerstört. Deshalb fangen viele Kirchenbücher erst im 17. Jahrhundert an, erzählt Giesel weiter. Der evangelische Pfarrer von Egringen und Fischingen Helmut Fehse habe fast alle dieser Bücher im Markgräflerland transkribiert. Günther Henn, ein anderer Ortsfamilienbuch-Schreiber, übertrug diese Listen in eine alphabetische Word-Datei.

Aufarbeitung von Märkt

Den „weißen Fleck“ Märkt will Ernst Giesel jetzt aufarbeiten. Dazu nutzt er eben diese Word-Datei, in der sich Namen der Einwohner von Märkt von Beginn der überlieferten Aufzeichnungen bis teilweise ins Jahr 2021 befinden. Anstoß für ihn war wiederum seine Familiengeschichte, so vermutet Ernst Giesel, das Vorfahren mütterlicherseits aus Märkt stammen. Von den Personen, die nach 1910 verstorben sind oder noch leben, müsse er sich gemäß der europäischen Datenschutzverordnung eine Einverständniserklärung organisieren.

In Märkt selbst stößt sein Vorhaben im Ortschaftsrat auf Zuspruch. Ernst Giesel hofft, dass vielleicht eine Art Interessensgemeinschaft, die die Einholung der Einverständniserklärung, den Druck und schlussendlich die Verbreitung unterstützt. Für das Werk hat Giesel zwei bis drei Jahre veranschlagt.

Arbeitskreis Stolpersteine

Nebenbei ist Ernst Giesel ist Mitglied des Arbeitskreises Stolpersteine Efringen-Kirchen, denn er ist der Überzeugung, die Namen der Betroffenen dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Auf welche Widerstände die Gruppe heute noch stößt, zeigt sich an dem Beschluss des Gemeinderates. Die Eigentümer der Häuser in denen früher Juden gewohnt haben, müssen der Verlegung schriftlich zustimmen, wenn vor ihrem Haus ein Stolperstein verlegt werden soll. Efringen-Kirchen sei die einzige Gemeinde in der Bundesrepublik bei der eine solche Einverständniserklärung notwendig sei, sagte Giesel. Normalerweise würden mündliche Absprachen genügen.

Der Arbeitskreis thematisiert dies auch auf der Homepage unter https://www.stolpersteine-efringen-kirchen.de/uber-uns/.

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