Weil am Rhein „Juden dürfen hier nicht bedroht werden“

Beatrice Ehrlich
Für Juden in aller Welt ist der Staat Israel ein sicherer Rückzugsort Foto:  

Über Israel sprechen oder schweigen: Der Weiler Pfarrer Michael Hoffmann im Gespräch

Heute jährt sich das Novemberpogrom von 1938 zum 85. Mal. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung der Stadt Lörrach spricht auch der Weiler Pfarrer Michael Hoffmann als Sprecher der Gruppe Abraham.

Einen Monat ist es her, dass Hamas-Terroristen in Israel eingedrungen sind und Menschen getötet und entführt haben. Juden sind bestürzt über die Gleichgültigkeit, mit der die deutsche Öffentlichkeit reagiert hat. Manche fühlen sich an die Zeit des Nationalsozialismus erinnert.

Das muss ich leider bestätigen. Umso wichtiger sind öffentliche Aktionen der Solidarität. Allgemein gab es nach dem Massaker eine große Empathie mit den Opfern und Empörung über die Täter, doch auch eine Scheu, sich näher damit auseinanderzusetzen. Dieser Terror ist mit Worten nicht zu beschreiben, die Bilder sind nicht auszuhalten. In Israel erinnern sich die Menschen an den Holocaust. Für alle Juden ist das ein großer Schock. Das gilt auch für die Sorge um das Schicksal der Geiseln.

Was können wir anders machen?

Zuerst Solidarität mit Israel. Auch die Anteilnahme an den Opfern im Krieg gegen die Hamas auf palästinensischer Seite darf nicht zur Aufkündigung der Solidarität mit Israel führen. Wir sollten uns mit moralischen Empfehlungen zurückhalten, weil wir die reale Gefahr, die dies für Juden bedeutet, nicht verstehen und da nicht wirklich mitfühlen können. Dass Juden jetzt bei öffentlichen Demonstrationen in Deutschland bedroht werden, finde ich furchtbar. Da geht es doch nicht um Unterstützung für Palästinenser, sondern um Hass auf Israel und Juden. Da erwarte ich konsequente strafrechtliche Verfolgung.

Was bewegt Sie angesichts des Angriffs auf Israel und des bewaffneten Konflikts?

Es ist kein Konflikt, sondern die nötige Verteidigung Israels. Ich bin erfüllt von Trauer und Schmerz. In einem der betroffenen Kibbuzim, Kfar Aza, habe ich gearbeitet. Das ist nur vier Kilometer von Gaza-Stadt entfernt. Wenn man die Situation vergleicht mit damals, ist es schockierend, dass der Staat die Sicherheit dort nicht garantieren konnte. 1978/79, haben wir uns sicher gefühlt. Es herrschte Aufbruchstimmung. Gerade die Kibbuzim waren immer an guter Nachbarschaft interessiert. Was jetzt in Gaza passiert, ist bitter, aber man muss die Verantwortlichen klar benennen: nicht Israel, sondern die Terroristen der Hamas. Die Hamas war nie am Leben ihrer Bewohner oder am Aufbau ihrer Stadt interessiert, sondern nur an der Zerstörung von Israel.

Tragen wir als Deutsche eine besondere Verantwortung für Juden und Israel?

Ja. Der Begriff „Staatsräson“, bedeutet konkret: Juden dürfen bei uns nicht bedroht werden, sondern müssen sich hier zuhause, wohl und sicher fühlen. Es sind unsere jüdischen Mitbürger. Ich bin froh, dass dies von politischer Seite so auch deutlich gemacht wird. Aufgrund der Shoah, die von deutschem Boden ausging, stehen wir in besonderer Verantwortung gegenüber Israel und den Juden und müssen das auch zeigen. Israel ist für alle Juden wichtig als sicherer Rückzugsort. Denn die jüdische Geschichte ist größtenteils eine Bedrohungsgeschichte.

Gibt es in Ihrer Gemeinde Diskussionen über den Nahostkonflikt?

Die gibt es immer. Die Betroffenheit und die Solidarität mit Israel sind ausgeprägt. Zu unserem Solidaritätsgottesdienst in Weil kurz nach dem Angriff kamen rund 60 Personen, unter ihnen Oberbürgermeister Wolfgang Dietz, der für die Stadt Weil am Rhein seine Anteilnahme ausgedrückt hat. Auf der anderen Seite steht das Mitgefühl mit den Palästinensern in Gaza. Das Resultat ist ein „emotionaler Spagat“, der schwierig ist. Nach wie habe ich die Hoffnung, dass es eines Tages möglich ist, in Nachbarschaft friedlich zusammenzuleben. Nach dem Jom-Kippur-Krieg gab es den ersten Friedensvertrag mit Ägypten.

Haben Sie den Eindruck, dass die Leute über die Hintergründe des Nahost-Konflikts informiert sind?

Meinem Eindruck nach gibt es eine große Unkenntnis über die Entstehung des Staats Israel, historische Begebenheiten und bisherige Versuche, Frieden zu schaffen, die allesamt gescheitert sind. Aktuellen Ereignissen wird oft mit Halbwissen begegnet. Israel steht aus dieser Perspektive immer auf der Täterseite. Aber so ist es nicht! Raketen aus Gaza gefährden Städte in Israel. In den meisten arabischen Staaten ist der Hass auf Juden und Israel verbreitet. Das muss zur Kenntnis genommen und überwunden werden. Die Forderung nach Anerkennung der Existenz Israels ist deshalb eine grundlegende Voraussetzung für Frieden. Die Entstehung Israels und der Nahostkonflikt sollten Teil des Lehrplans in den Schulen sein.

Sind im Dialog mit Muslimen Fragen zu Israel und Palästina Gesprächsthema?

Wir sind im Austausch, aber dieser könnte intensiviert werden. Es muss möglich sein, dass man sich nicht nur kennt und schätzt, sondern sich auch zu dieser Frage austauschen kann.

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading