Weil am Rhein Mit Optimismus ins „zweite Leben“ gestartet

Weiler Zeitung
Armin Ruser führt seine Agentur „Aha Factory“. Der Rollstuhl wird beim Lesen der Fachliteratur manchmal auch an die Seite gestellt, dieser ist ansonsten aber sein Fortbewegungsmittel. Foto: Weiler Zeitung

Serie „Be-Hindert“ – Teil 11: Armin Ruser ist nach Unfall seit 20 Jahren querschnittsgelähmt / 43-Jähriger führt eigene Agentur

Die Panik überkommt Armin Ruser immer noch nicht. 20 Jahre ist es nun her, dass er bei einem Motorradunfall eine Querschnittslähmung davontrug. „Ich vergesse sogar oft, dass ich im Rollstuhl sitze“, sagt der heute 43-Jährige, der eine Agentur in Weil am Rhein betreibt. Der gläubige Christ hält es mit der bekannten Rollifahrerin Joni Eareckson: „Man kann auch innerlich stehen.“

Von Marco Fraune

Weil am Rhein. Auf der Lucke von Ötlingen in Richtung Binzen kommend passiert es. Am Abend des 16. Mai 1999 stößt Armin Ruser auf dem Motorrad sitzend mit dem Auto einer älteren Dame zusammen, die von der Autobahn abgebogen war und in Richtung Lörrach wollte. Der 23-Jährige ist zu diesem Zeitpunkt als Elektriker tätig. Der junge Mann hat Träume: Er will viel mit Jugendlichen arbeiten oder Jugend-Pastor werden, eine Familie gründen. Der Ötlinger blickt einem bodenständigen Leben entgegen, wobei er nach dem klaren Motto verfährt: „Wo ich bin, ist Vollgas.“ Doch dann die Vollbremsung.

Mitten in der Nacht wacht der Ötlinger in der Intensivstation auf. Wie in vielen Tragödien auf dem Fernsehbildschirm schon dargestellt, greift er sich zu den Beinen – und spürt diese nicht. Der junge Mann weiß sofort, was los ist. Und dann? „Ich hatte einen ganz tiefen Frieden im Herzen“, was Armin Ruser rückblickend Gott zuordnet. Und nicht nur das: „Panik gab es nicht und die kam bis heute nicht.“ Das habe selbst die Psychologen überrascht, die fest damit rechneten.

Im Rollstuhl sitzt der 43-Jährige in seiner eigenen Firma zufrieden gegenüber dem Autor dieses Portraits. Dieser erinnerte sich angesichts der Serie unserer Zeitung und der Leser-Helfen-Aktion an den fröhlich wirkenden Menschen beim Neujahrsempfang der Stadt Weil am Rhein, der zwischen den Gästen in seinem Rolli saß. Nun folgte auf den kurzen Austausch im Januar ein langes Gespräch am Jahresende über seinen „Plan B“, wie er sogar sein Buch benannt hat, das sich an Innovatoren, Querdenker, Unternehmer und Menschen richtet, die aus ihrer Komfortzone heraustreten wollen. Armin Ruser selbst kann nicht laufen, nur daheim in seiner Eimeldinger Wohnung längere Zeit stehen, wenn er am speziellen Gerät hängt und dann die Knochen als Training belastet.

Fahren ist seine zwangsläufig bevorzugte Fortbewegungsart – im eigenen Auto, das seinen Bedürfnissen Rechnung trägt, oder auch im Rollstuhl, der Sitz, Fahrgelegenheit und irgendwie auch Fitnessgerät in einem ist. Schieben lässt er sich daher auch nur gerne, wenn es eine lange Strecke eine Steigung gibt. „Es ist aber gut, wenn man gefragt wird.“ Nicht so wie auf einer Party, wo er einfach mal zur Toilette geschoben wurde, obwohl er doch gar nicht musste.

Mit der barrierefreien Wohnung und dem Arbeitsplatz im dritten Stock, wo es eine Rampe am Eingang und einen Aufzug gibt, sowie dem hergerichteten Auto sei der Alltag einfacher, weiß Armin Ruser. Dies empfindet er als „Geschenk“, also als Privileg angesichts seines Auskommens, das er mit der 2013 als eigene GmbH eingetragenen „Aha Factory“ bestreitet – einer Firma, die Erklärvideos für Firmen erstellt. Acht Mitarbeiter beschäftigt der in Ötlingen aufgewachsene Ruser hier. Diese wollen Dinge zeigen, die man nicht sieht, als Animationsfilm umgesetzt. Hinzu kommt noch eine Mitarbeiterin, die bei seiner 2016 gegründeten Firma „made in freedom“ angestellt ist. Hier spielt das Grundthema der Bibel die zentrale Rolle: die Freiheit. Anderen Menschen soll ein freies Leben ermöglicht werden, konkret geht es um den Vertrieb von Produkten, die von befreiten Sklaven hergestellt wurden.

Früher, in seinem „ersten Leben“, hatte Armin Ruser wenig Geduld. Es musste schnell gehen, auch beim Umgang mit Menschen, analysiert er heute selbstkritisch. Nun geht alles aufgrund der Lähmung, die ab der Brust körperabwärts vorliegt, nicht mehr ruckzuck. Bis zu einer Stunde braucht der 43-Jährige schon morgens im Bad. Dann bleibt Zeit zurückzublicken, auch darauf, wie viel Glück im Unglück er dann noch hatte. Denn die Röntgenbilder vom Unfallopfer Ruser sahen so aus, dass es sich um Aufnahmen eines Toten handeln könnte. Doch seitdem verlässt sich das Unfallopfer auf die innere Zusage, die er in der Intensivstation zu vernehmen glaubte. „Es gibt eine gute Zukunft.“ Das hat ihn motiviert. „Ich wollte wissen, wie es ist, im Rollstuhl ein gutes Leben zu führen.“

Daher rappelt sich Armin Ruser im Jahr 1999 und 2000 auch immer weiter auf. Nach drei Tagen geht es von der Uniklinik Freiburg in die Reha-Klinik nach Basel. Die unglaublichen Schmerzen gehen irgendwann zurück, das Morphium kann beiseite gelegt werden. Das „zweite Leben“ beginnt damit, viel Zeit zum Nachdenken zu haben inklusive.

Dass er die Agentur in der jetzigen Form betreibt, führt Armin Ruser genau darauf zurück. „So zu denken, ist die Folge, dass man Zeit zum Nachdenken hat.“ Gleichzeitig gibt Gott ihm Halt, wie das Mitglied der freien evangelischen Gemeinde schildert. Hinzu kommen sein eigenes praktisches Tun und seine eigenen Entscheidungen, sein Selbstmanagement. „Wo will ich hin mit dem Leben und was kann ich tun, um dahin zu kommen?“, will Armin Ruser stets mit dem Machen beantworten. Denn für ihn steht fest: „Ich habe schon wenig Zeit, da habe ich keine Zeit, Zeit zu verplempern.“ Bei der Selbstorganisation helfen ihm selbst geschaffene Systeme, um Ordnung zu halten. Das Denken schärfen und dies zu kanalisieren, das sei wichtig, nimmt er sich einmal im Jahr bewusst eine Auszeit. Sein Leben reflektieren, ist angesagt.

Nach dem Unfall bis Mitte 2000 muss Armin Ruser sogar grundsätzliche Dinge erst einmal wieder einüben. Er will durch die Stadt rollen, ohne ständig an Bordsteinen hängen zu bleiben, er will ohne Probleme ins Auto steigen, er will einen Trainingsrhythmus für seinen Körper entwickeln, um nicht dick zu werden und seine lädierte rechte Schulter in Schuss zu halten, und er will einfach allein einkaufen gehen. Nachdem das alles einigermaßen klappt, geht es vier Jahre lang nach Zürich zum Studium der Theologie, wobei ein Master in Bonn den Abschluss bildet.

Ab 2004 folgt in Fischingen in der freien evangelischen Kirche die Tätigkeit als Organisatorischer Leiter der Freikirchen, später dann im G5 in Eimeldingen, wo er im Führungsteam aktiv ist. Nach einem Fernstudium, bei dem er das allgemeinverständliche Arbeiten mit Geld lernt, wäre der Weg in die Wirtschaft vorgezeichnet gewesen. Doch dann betreibt Armin Ruser seine eigene Firma – bis zum heutigen Tag weiterhin.

Die Zukunft nimmt der 43-Jährige nicht auf die leichte Schulter, erklärt er. Doch: „Wahrscheinlich habe ich mir mit 25 Jahren die Gedanken gemacht, die andere sich mit 60 Jahren gemacht haben.“ Für ihn sei wichtig, sich fit zu halten, denn er will lange fit bleiben und lange leben. Denn mittlerweile wisse er, dass im Rollstuhl ein gutes Leben geführt werden kann.

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