Weil am Rhein „Nur noch interessierter Beobachter“

Siegfried Feuchter
Rainer Stickelberger, langjähriger populärer Landespolitiker, genießt den Ruhestand ohne Termin- und Arbeitsdruck. Foto: Siegfried Feuchter

Was macht eigentlich Rainer Stickelberger? Der ehemalige langjährige Landtagsabgeordnete und Justizminister sowie frühere Weiler Bürgermeister genießt seit gut zwei Jahren den Ruhestand. Aus der Politik hat er sich weitgehend zurückgezogen.

20 Jahre war der populäre und leidenschaftliche SPD-Politiker aus Haltingen Mitglied des Landtags in Stuttgart. Die große Politbühne vermisst Rainer Stickelberger nicht mehr, wie er im Interview mit unserer Zeitung deutlich macht.

Bei Ihrem Abschied aus der Politik haben Sie gesagt, man müsse loslassen können. Ist Ihnen das gelungen?

Ein uneingeschränktes Ja.

Haben Sie sich vollständig aus der Politik zurückgezogen?

Ich bin noch Mitglied der SPD und gehöre auch noch dem Kreisvorstand an. Die vorderste Reihe suche ich aber nicht mehr und fühle mich wohl dabei.

Wann waren Sie Sie das letzte Mal in Stuttgart?

Vor etwa vier Wochen. Es gab eine Mitgliederversammlung einer parteiübergreifenden Vereinigung ehemaliger Landtagsabgeordneter. Wir machen beispielsweise einmal im Jahr einen Ausflug oder eine Informationsfahrt. Am Abend nach der Mitgliederversammlung hatte die Landtagspräsidentin Muhterem Aras zu einem Sommerfest eingeladen, bei dem ich viele ehemalige Kollegen und auch einige aktuelle Politiker sowie Mitarbeiter der Landtagsverwaltung getroffen habe. Gelegentlich komme ich auch mit Mitarbeitern des Justizministeriums zum Mittagessen zusammen. Ansonsten halte ich mich aus der Landespolitik heraus und bin lediglich ein hochinteressierter, aber gelassener Zuschauer.

Vermissen Sie als langjähriger, erfahrener Landespolitiker den Politikbetrieb nicht?

Nicht mehr. Wie gesagt, ich bin nur noch interessierter Beobachter.

Was würden Sie im Rückblick als wichtigste Entscheidung in den 20 Jahren als Abgeordneter und Minister bezeichnen?

Oh, da gibt es viele Ereignisse, Gesetzesvorhaben oder Staatsbesuche in Stuttgart. Was für mich aber immer wichtig war, das waren die vielen Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Berufe und Herkunft. Die persönliche Ebene war immer sehr spannend, vielfältig und bereichernd, denn es bot sich stets Gelegenheit, Neues zu erfahren und auch zu lernen. Die hektischste, bewegendste und spannendste Zeit waren sicher meine Jahre als Justizminister.

Sie gehören 52 Jahre der SPD an und gelten in Ihrer Partei als Mann der Mitte. Wo sehen Sie die Ursachen für die Tatsache, dass die SPD in den aktuellen Umfragen hinter der AfD liegt?

Das hat vielfältige Ursachen. Die SPD ist in einer Koalition mit zwei gänzlich unterschiedlichen Partnern und deshalb gezwungen, Kompromisse zu machen und zwischen den Partnern zu moderieren. Auch haben die Pandemie und der Ukraine-Krieg die Probleme wie beispielsweise die europaweit ungelöste Flüchtlingsfrage, die zu langsam fortschreitende Digitalisierung oder das Thema Wohnungsbau verstärkt. Das Regieren ist komplizierter geworden, vor allem in einer Dreierkoalition. Streit in der Sache gehört zu einer Demokratie, doch es muss nicht immer alles auf dem offenen Markt ausgetragen werden. Im Interesse der Sache wäre es ratsamer, moderater zu agieren.

Politik hat Ihr Leben weitgehend bestimmt. Dabei war Ihnen Volksnähe immer wichtig, was Ihnen auch viel Popularität eingebracht hat. Haben Sie im Ruhestand das Ohr immer noch am Volk oder leben Sie jetzt zurückgezogener?

Ich bin nach wie vor gern unter Leuten, bin aber nicht mehr vom Terminkalender gehetzt. Ich kann jetzt zu Veranstaltungen ohne Termindruck gehen – und das nicht nur am Wochenende. Und ich kann meine Kontakte selbst bestimmen. Ich freue mich schon auf das Winzerfest.

Sie waren Verwaltungsrichter, Bürgermeister, Rechtsanwalt, Landtagsabgeordneter und Justizminister. Welcher dieser Berufe war Ihnen am liebsten?

Jeder hatte seine Licht- und Schattenseiten. Das Spannendste war sicher das Landtagsmandat in Verbindung mit der Zeit als Minister. Profitiert habe ich bei meiner Tätigkeit in Stuttgart von meiner Zeit als Bürgermeister in Weil an der Seite des damaligen OB Peter Willmann. Das war eine gute Schule in Sachen Haushaltsrecht, Bauwesen, Planung und Personalführung.

Als ehemaliger Weiler Bürgermeister und Haltinger Bürger verfolgen Sie bestimmt noch intensiv die Weiler Kommunalpolitik. Wie beurteilen Sie den Umstand, dass innerhalb der nächsten Monate die gesamte Führungsspitze das Rathaus verlässt?

Nach so vielen erfolgreichen Jahren von OB Dietz und Bürgermeister und Kämmerer Koger ist das ein Umbruch, gerade in einer Phase, wo Weil am Rhein vor riesigen Herausforderungen wie Tramverlängerung, Innenstadt und anderen steht. Aber ich bin überzeugt, dass es eine gute Nachfolgeregelung geben wird.

Sie haben sich mal als Nachrichtenjunkie bezeichnet. Sind Sie das auch im Ruhestand?

Das bin ich nach wie vor. Die Zeitungen vor Ort zum Frühstückskaffee, das Internet, das Radio und die sozialen Medien, in denen ich auch immer wieder auf überregionale Presseartikel hingewiesen werde, nutze ich. Fernsehen schaue ich dagegen etwas weniger.

Von Gelassenheit und Vorfreude auf ein ruhigeres Leben sprachen Sie bei Ihrem Abschied aus der Politik vor zwei Jahren. Hat sich der Wunsch erfüllt?

Ja, ich habe Zeit für Sport und kann intensiv Spanisch lernen. Und ein fester Bestandteil sind meine Joggingrunden am Tüllinger Berg, eingebettet von Fachgesprächen mit einheimischen Landwirten. Außerdem betreibe ich regelmäßig in einem Fitnessstudio ein Training mit gemischten Kampfsportarten. Also langweilig wird es mir nicht.

Rainer Stickelberger

Der 72-Jährige,
verheiratet und Vater einer Tochter, wohnt in Haltingen. Der Jurist und ehemalige Richter war von 1984 bis 1992 Bürgermeister in Weil am Rhein, danach bis 2011 Rechtsanwalt in Lörrach. Seit 2001 bis 2021 war er Mitglied des Landtags, davon fünf Jahre Justizminister von Baden-Württemberg.

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