Weil am Rhein Obdachlose trotzen der Kälte

Weiler Zeitung
Hans Joachim Benner (l.) schläft im Zelt und nutzt den Schlafsack sowie seinen Hund, damit es nicht zu kalt wird. Sacha Glaect schläft in Tiefgaragen. Foto: Marco Fraune Foto: Weiler Zeitung

Winter: Sacha Glaect sucht bei Minusgraden in Tiefgarage Zuflucht / Hans Joachim Benner schläft im Zelt

Die vergangenen Nächte waren für Sacha Glaect und Hans Joachim Benner hart. Minustemperaturen im zweistelligen Bereich mussten die Obdachlosen ertragen. Auf unterschiedliche Weise trotzen sie den Widrigkeiten im Winter, schildern die beiden Männer, die in der „Wärmestube“ neue Energie tanken.

Weil am Rhein. Seit zwei Jahrzehnten lebt Benner auf der Straße. Der 27. November 1997 war das erste Mal, erinnert sich der heute 43-Jährige noch genau. Ein Sekundenschlaf hinter dem Lenkrad seines Fahrzeugs hatte ihn zuvor aus der Bahn geworfen. Der Inhaber eines Montagebetriebs für Fenster und Türen ging pleite. Es war kein Geld mehr für die Miete da. Eineinhalb Jahre lebte er dann im Schwarzwald, direkt im Wald. „Aus der Not heraus und weil ich keinen Bock auf eine Wohnung hatte“, hat er sich seitdem ins Zelt verzogen. Statt Abenteuer-Camping steht seit dieser Zeit eher ein Überlebenskampf an.

In Weil gibt es nach den Erkenntnissen von Oliver Killmann, Leiter der Friedlinger „Wärmestube“, ein Dutzend Menschen, die auf der Straße leben. Einige kommen in Zelten unter, andere in Tiefgaragen oder Hauseingängen – und auch vor dem Bankautomaten finden sich im Vorraum bei Minustemperaturen Obdachlose. „Wer ist schon froh, obdachlos zu sein“, würden sich einige Männer zwar als harte Kerle geben, doch er glaubt nicht an diese „Abenteuer“-Erzählung.

Die Temperaturen in diesem Weiler Winter bewertet Hans Joachim Benner rückblickend noch als erträglich, wobei die vergangenen Nächte schon knackig-kalt waren. Doch: „Im Winter laufen weniger Chaoten rum. Daher liebe ich den Winter“, weil er seine Ruhe habe. Gemeinsam mit etwa vier anderen Obdachlosen zeltet er auf einem Privatgrundstück, kaum sichtbar für die Öffentlichkeit. Ein Schlafsack, die Iso-Matte und sein Hund sorgen dafür, dass es ihm nicht zu kalt wird. Das Holz fürs Lagerfeuer wurde schon vor dem Winter gesammelt.

„Not macht erfinderisch“, muss sich auch Glaect täglich etwas einfallen lassen. Schutz vor dem Frost sucht der 43-Jährige in Tiefgaragen. Da der gelernte Restaurantfachmann dort keinen Ärger macht und seinen Müll am Morgen wieder mitnimmt, drücken Sicherheitskräfte ein Auge zu und machen ihm das Leben nicht noch schwerer. Denn wenn die Wärmestube unter der Woche um 16 Uhr schließt, müssen sich Körper und Geist bis zur Öffnung der Einrichtung um 8 Uhr dahin schleppen. Glaect: „Dann beginnt der Überlebenskampf.“ In der Nacht zuvor streifte er einfach mit seinem Fahrrad durch die klirrende Kälte.

20 bis 25 Mittagessen werden in der „Wärmestube“ ausgegeben. Auch Schlafsäcke und Kleidung gibt es in der dortigen Kammer. Sucht, psychische Erkrankungen und andere Rückschläge mussten die Obdachlosen verkraften, weiß Killmann. Notfalls könnten diese zwar im Lörracher Erich-Reisch-Haus in der Notübernachtung unterkommen, doch auf eine Wohnung dürften sich nur wenige angesichts der angespannten Lage eine Hoffnung machen. „Wer nimmt schon einen Obdachlosen?“

Seit vier Jahren ist Sacha Glaect nun schon obdachlos, das dritte Mal in seinem Leben. Aufgewachsen im Kinderheim, straffällig schon mit 18 Jahren, bis vor zehn Jahren ein Junkie und zuletzt vom Chef für seine Arbeit in Frankreich nicht bezahlt, kommt es immer wieder zu Rückschlägen, momentan sei er auf „Sinnsuche“. „Ich bin nicht dafür gemacht“, hasst der 47-Jährige die Obdachlosigkeit. Sein Bruder, der im Ausland lebt, und seine Schwester, die im Norden Deutschlands eine Praxis betreibt, ahnen auch nichts von seiner Notlage, obwohl er via Facebook den Kontakt hält.

Die Eltern und die Geschwister von Hans Joachim Benner wissen hingegen, dass er obdachlos ist. „Ich sage: Mir macht das Spaß.“ Der frühere Unternehmer hat sich eingerichtet. Eine kleine Solaranlage im Anhänger seines Fahrrads sorgt für die Stromversorgung seines Handys, ein Spiritus-Kocher für einen warmen Kaffee und das Zelt hält die Feuchtigkeit ab. Mit seiner Thermohose, zwei Jacken und zwei Pullovern kommt er klar. Im Winter 2005/2006 habe er sogar bei minus 32 Grad Celsius in Titisee-Neustadt an der Skischanze die Zeit draußen verbracht. Und der Bart in seinem Gesicht sorge aktuell auch für etwas Wärme bei der Kälte.

Mit seinem Hartz IV-Geld und einigen Almosen von Bürgern kommt Hans Joachim Benner über die Runden, der vor etlichen Jahren zufällig in Weil gelandet und dann hier geblieben ist. Schwieriger ist es für Sacha Glaect, der mit seinem französischen Pass weder auf dieser Seite noch auf der anderen Seite der Grenze Sozialleistungen bezieht. Betteln gehen will er nicht, da er vor zehn Jahren in Weil standete und mittlerweile auch schon viele kennt. „Jeder hat sein eigenes Päckchen zu tragen“, nimmt er sich jeden Tag etwas vor, um sich abzulenken. „Das funktioniert aber nicht jeden Tag.“

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