Weil am Rhein Paragraph 218 und Schoki gebende Kühe

Daniel Hengst
Die Slamer und Musiker lieferten einen unterhaltsamen Abend: Mia Ackermann (v.l.), Daniel Wagner, Niklas Bastian, Mönke Degkwitz, Dominik Heißler, Gregor Stäheli, Ima, Selina Mutzbauer und Ansgar Hufnagel. Foto: Daniel Hengst

Beim Poetry Slam werden die Themen frei gewählt. Es geht um Selbstbestimmung, Freiheit, Bildung, Influencer und den Lehrermangel.

Es wird der „Running Gag“ des Abends: „Derf ich öbbis sage, Sie hen de Hoselade offe.“ Kaum hatte Ansgar Hufnagel die Bühne betreten, meldete sich eine Schweizerin mit diesen Worten aus dem Publikum. „Das haben wir jetzt diskret gelöst“, meinte der Moderator. Das Publikum, 80 Gäste im Kesselhaus sind damit aufgewärmt und konnten schon lachen, bevor es wirklich los geht.

Der Witz wiederholte sich mehrfach als Roter Faden durch den Abend. „Der geht immer wieder auf“ und „bevor ich auf die Bühne trete, geht mein erster Blick nach unten“ sowie „ich sollte Hosen mit Knöpf kaufen“ oder „vielleicht sollte ich die Hosen künftig da zunähen“. Hufnagel hatte aber mehr zu bieten als dies, er war ein Entertainer, der die Stimmung stets ganz oben hielt.

Ohnehin, es ist kein Platz mehr frei im Kesselhaus. In Friedlingen bleiben mehr als 20 Besucher vor der Türe. Der Poetry Slam ist seit Tagen ausverkauft. Wer es nicht glauben wollte und ohne Karte kam, der stand im Regen und wurde von den Verantwortlichen des gastgebenden Weiler Kulturamts wieder nach Hause geschickt.

Kesselhaus in Friedlingen war ausverkauft

Wer drinnen im warmen saß, der konnte sich vielleicht wie eine Ölsardine fühlen, aber er war, wie Hufnagel sagte: „Teil dieser Show.“ Die Zuschauer sind beim Poetry Slam die Jury. „Was qualifiziert Euch dazu? Ihr seid hier“, erklärte der Moderator. Die Lautstärke und Art des Beifalls oder gar Jubelstürme entscheidet im Duell der Wort-Künstler wer ins Finale kommt.

Das Duell der Wort-Künstler

Dominik Heißler und Daniel Wagner, er ist in Basel geboren und in Lörrach aufgewachsen, bestreiten das erste Duell. Heißler gibt sich gleich als Lehrer zu erkennen und fragt, „wer hatte denn Latein in der Schule?“. „In Ordnung, ich sehe da einen Mittelfinger. Ich bin da hineingeraten.“

Dominik Heißler Foto: Daniel Hengst

Sogleich zitiert er in Latein aus einem Buch - löst aber auf: „Alle Menschen wollen glücklich leben, aber wenn es darum geht zu durchschauen, was ein glückliches Leben ausmacht, ist ihr Blick getrübt.“ Seine Gedanken gelten fortan dem Thema Glück. „Glück, das war für mich als Kind ,Engele, Engele flieg’“, setzte er an. „Glück, das war für mich „BumBum“-Eis.“ Heißler löste auf, denn er spricht von „zuckerummanteltem Industrieeis, das auf den zähesten und süßesten Kaugummistiel angebracht ist, der je Kinderzähne faulig gemacht hat“. Er thematisierte die Lebensmittelgroßkonzerne, die es fertig brächten, den Menschen das Wasser abzugraben, Zucker hineinzufüllen und es ihnen teuer zu verkaufen. „Ich war ein Kind, ich wusste es nicht besser, ich fand es geil: „BumBum“-Eis.“

Daniel Wagner Foto: Daniel Hengst

Der mittlerweile in Heidelberg lebende Lörracher Daniel Wagner griff kurz Heißlers Stichwort Latein auf und ging dann zu seinem Thema über: „sexuell übertragbare Infektionskrankheiten, heute Teil drei: die Schwangerschaft.“ Er begann mit den Fakten, Schwangerschaft sei sexuell übertragbar und wird in den meisten Fällen auch genauso übertragen. In ganz seltenen Fällen auch durch Gott.“ Als Absichtlichen Versprecher baute er „Obstwasser“ ein, um sich sogleich gekonnt zu korrigieren, „Fruchtwasser“. Der zweifache deutschsprachige Vizemeister endete mit „Respekt vor der Leistung der Mütter“. Beim Juryvotum setzte sich das „BumBum“-Eis durch.

Ima studiert in Freiburg und slamt. Ansgar Hufnagel macht sich Notizen für die Zusammenfassung. Foto: Daniel Hengst

Ima, die in Freiburg studiert, trat gegen Gregor Stäheli an, der mehr als 300 Auftritte verbucht und zu den erfolgreichsten der Szene gehört. Die Freundschaft und ebenso dem „Mehr“, widmete sich Ima. „An einem Montag laufen wir beide die Dreisam entlang. Ich weiß, dass deine Lieblingsfarbe blau ist. Du weißt, dass ich single bin.“ So beim Laufen schwingen ihre Hände an seiner Hose vorbei und seine schwingende Hände treffen ihre. „Ich habe das hier nicht in der Hand, aber deine, deine hätte ich gerne in meiner Hand.“ Bald lehnen sich die „Handflächen aneinander und die Finger sichern ab“, dass es so bleibt.

Gregor Stäheli ist in Riehen aufgewachsen. Foto: Daniel Hengst

Der Schweizer Stäheli erklärt, dass er in „Rie’chen“ aufgewachsen und im Laguna groß geworden sei. Es setzt auf das Thema Lehrermangel. Seine Utopie für die Zukunft beginnt mit 30-jährigen Quereinsteigern, geht weiter zu Schülern, welche die Sekundarstufe abgeschlossen haben, dann zu „der Mehrheit der Schulzeit absolviert“ bis hin zu „hat in der Jugend zumindest hinter einem Schulhaus heimlich geraucht“. Am Ende unterrichtet der achtjährige Leon die Neuntklässler in Wirtschaft und Recht. Doch die modernen Fächer heißen auf einmal „Reels unter 15 Sekunden“ und „Schminktutorials“. Die Liebesgeschichte kam beim Publikum weniger an als die Influencer.

Die 23-jährige Mia Ackermann studiert an der Uni in Bern. Foto: Daniel Hengst

Mia Ackermann beschäftigte sich mit „Mutters sehnlichstem Verlangen“ und dem Paragrafen 218. „Auf hartem Boden fruchtbar gemacht“, begann die 23-Jährige, die auf einem Feld ein Samenkorn fallen lässt und lässt eine Liebesgeschichte entstehen. Sie benannte den „Wunsch nach Leben“ und die „von einer warmen Hand auf dem Bauch, meiner Mutter sehnlichstes Verlangen“. Sie erzählte von ihrer Oma und ihren sechs Kindern, die nie eine Ausbildung machen durfte. „Nichts, außer ein bisschen mehr Liebe“, hätte sich ihre Oma gewünscht. Diese Geschichte berührt das Publikum.

Selina Mutzbauer lässt unter anderem zwei braune Kühe „Schoki“ geben. Foto: Daniel Hengst

Selina Mutzbauer, die gebürtige Rosenheimerin, begann mit einer Umfrage, „wer Wort- und Flachwitze richtig toll findet“. Sie hat einen Text mit besagtem Inhalt dabei und „verabschiedet“ den Rest des Publikums mit, „die nächsten Minuten werden nicht das Highlight Eures Abends“. Wenn sie einen Bauernhof hätte, hätte sie Kühe, „zwei braune Kühe nenne ich Milka und Lindt, die geben Schokomilch“. Die Liebesgeschichte trägt bei den rund 80 Klatschenden den Sieg davon.

Zwischen Heißler, Stäheli und Ackermann gibt es im Finale keinen Unterschied

Im Finale hatten Dominik Heißler, Gregor Stäheli und Mia Ackermann andere Texte dabei. Ansgar Hufnagel, kam es nicht nur auf den lautesten Beifall an. Er differenzierte, kommt dieser nur aus einer Ecke oder wird er von mehreren der Jury getragen, kann sich nach mehreren Beifall-Runden nicht entscheiden. Kurzerhand waren alle drei Sieger. Ohnehin sei es nur um ein Buch, vor allem aber um einen Abend mit guter Unterhaltung gegangen.

Niklas Bastian (links) und Mönke Degkwitz bereichern den Abend im Kesselhaus mit ihrer Musik. Foto: Daniel Hengst

Nicht mit im Wettbewerb, weil er eben singt und nicht spricht, das ist Niklas Bastian, der zusammen mit Mönke Degkwitz auf der Bühne steht. Der Musiker sorgt neben Hufnagel für weitere Abwechslung. Mit seinen Liedern, vor allem aber Texten, die als Reime von Musik begleitet wurden, ist er eine große Bereicherung. Gleich als erstes hatte er mit „Momente“ einen besonderen Höhepunkt dabei. Wäre Gesang beim Poetry Slam zugelassen, mit diesem Beitrag hätte er wohl gewonnen: „Sekunden die vorbei-zieh’n. Der Zeiger bleibt nicht steh’n, nur der Moment, dazwischen bleibt: Lass sie nicht los, denken wir groß. Zeit ist vergänglich, doch Momente sind ewig, lass sie nicht los...“

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