Weil am Rhein Streetart als Kunst anerkennen

Zoë Schäuble

Interview: Der Kurator der Colab Gallery, Stefan Winterle, erklärt, wie sich der Blick auf Graffiti wandelt

Streetart-Künstler wie Banksy sind für ihre Graffiti weltbekannt und in aller Munde. Dennoch bewegen sich die Künstler immer noch im Spannungsfeld zwischen Kunst und Kriminalität, was auch in der Friedlinger Colab Gallery bemerkt wird. Warum Graffiti längst mehr sind als illegale Schmierereien, erklärt Kurator Stefan Winterle im Interview.

Von Zoë Schäuble

Weil am Rhein. Sogar die Stadt nahm bereits mehrfach Kontakt zu Winterle auf, der ehrenamtlich gemeinsam mit seinen Künstlerkollegen flächendeckende Kunstwerke kreierte. Auch im privaten Bereich steigt die Nachfrage nach dieser speziellen Form der Streetart, weiß Winterle.

Frage: Herr Winterle, gestern war Weltkunsttag. Ein schöner Anlass, um auch einmal über eine Kunstform zu sprechen, die viele scheinbar noch nicht so ganz als Kunst begreifen wollen. Oder hat sich der Blick auf Streetart und insbesondere auf Graffiti-Kunst etwa gewandelt?

Künstler wie Banksy, dessen Graffiti ja inzwischen weltbekannt sind, machen es uns leicht, einen Zugang zu dieser Kunstform zu finden und sie auch als Kunst anzuerkennen. Die intelligenten, leicht verständlichen und bisweilen humoristischen Bilder werten das Image der früher oft als Verschmutzung verschrienen Sprühgemälde natürlich auf. Außerdem begreifen inzwischen auch Städte den Mehrwert dieser Kunstform und bieten Künstlern eine Möglichkeit, öffentlichen Raum für ihre Kunst zu nutzen.

Frage: Könnte man also sagen, dass das schlechte Image von Graffiti inzwischen der Vergangenheit angehört?

Ich denke schon. Bei unseren Nachbarn in Basel hat sich zuletzt mit der Änderung der Stadtbildkommission einiges getan – die Künstler dort haben es jetzt um einiges leichter, sich mit ihren Kunstwerken auszuleben. Die Sprühlacke sind zwar immer noch ein relativ neues, aber durchaus zeitgemäßes Medium und Graffiti keinesfalls eine rein neuzeitliche Kunstform. Bereits im antiken Pompeii wurden über 5000 Wandgraffiti gefunden – beispielsweise wird hier auf künstlerische Weise ein Wirt wegen seines schlechten Essens beleidigt.

Frage: Und wo finden sich in Weil am Rhein Graffitis und handelt es sich bei den Werken mehrheitlich um illegal gesprayte Bilder, oder sind sie in Absprache mit der Stadt als Kunstprojekte entstanden?

Rund um das Kesselhaus gibt es viele Graffiti – die muss man aber, wenn man es ganz genau nimmt, als Murals, also als Wandbilder, bezeichnen. Denn im Gegensatz zu Graffiti handelt es sich hier um großformatige, oftmals beauftragte Arbeiten oder freie Werke, die den öffentlichen Raum langfristig oder auf Zeit verschönern sollen. In Weil am Rhein ist aber beides vorhanden, sowohl illegal gesprayte Bilder als auch legale. Leider wird momentan aber mehr illegal gesprayt, was auch daran liegt, dass die legal zu besprühenden Flächen in der Stadt rar gesät sind. Es wäre zu begrüßen, wenn die Stadt hier mehr Raum, einen Spielplatz für die Künstler für die Gestaltung großformatiger Werke bieten würde.

Frage: Welche Projekte in Bezug auf Graffitis gibt es derzeit in Weil am Rhein? 2019 sollten ja diverse Kunstwerke, wie etwa das in der Fußgängerunterführung am Haltinger Bahnhof, neu gemacht werden.

Der Haltinger Bahnhof wurde abgerissen – entsprechend ist auch die Kunst mit dem Abriss verschwunden. Es gibt aber schon Projekte und auch eine Serie, die in Zusammenarbeit mit der Stadt und der Colab Gallery stattfindet. Im Sommer soll sie fortgesetzt werden. Grundsätzlich gibt es in der Stadt noch viele Flächen, die sich für diese Kunstform anbieten würden, allerdings scheitert die Umsetzung von solchen Projekten häufig aus finanziellen Gründen. Momentan konzentriert sich die Kunst noch etwas auf Friedlingen. Für das letzte größere Kunstprojekt beispielsweise hat die Colab Gallery ihre Südfassade zur Verfügung gestellt 2019, also noch vor Corona, haben zwei dänische Streetart-Künstler die Wand verschönert.

Frage: Streetart und besonders Graffiti sind ja in der Regel keine Kunstwerke für die Ewigkeit. Manche werden übersprayt oder anderweitig verschmutzt oder beschädigt. Wie gehen die Künstler der Colab Gallery damit um, wenn das mit ihren Werken geschieht?

Streetart und besonders Graffiti oder Murals sind vergänglich – das wissen die Künstler auch. Um das zu umgehen, wechseln einige Künstler aber auch von Wänden auf die Leinwand. So bleibt ihre Kunst bestehen. Allerdings ist diese Vergänglichkeit ja auch gewissermaßen ein reizvoller Faktor. Nicht nur durch fremdes Übersprühen, auch durch Umwelteinflüsse, wie etwa viel Sonnenlicht, verändern sich die Kunstwerke. Prinzipiell kann man sagen, dass es unter den Streetart-Künstlern zwei Philosophien gibt: Es gibt diejenigen, die Kunst machen und das auch legal auf freien Flächen und dann gibt es andere, die einfach markieren wollen. Aus diesem Spannungsfeld entsteht auch die Problematik, das es dem ein oder anderen Betrachter schwer macht, Streetart und Graffiti als Kunst anzuerkennen.

Weitere Informationen: Wer mehr über die Arbeiten von Streetart-Künstlern erfahren will, kann die Colab Gallery (Schusterinsel 9 in Friedlingen) besuchen. Weitere Infos gibt es auch unter www.colab-gallery.com.

...ist freiberuflicher Künstler und hat sein Atelier im Weiler Stadtteil Ötlingen. Seit 2010 verantwortet der 45-Jährige die künstlerische Leitung der Colab Gallery in Friedlingen. Gerade bereitet er die kommende Sommerausstellung vor, die am 11. Juni eröffnet wird und zu der Künstler aus Europa, aber auch Mexiko eingeladen sind.

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