Zell im Wiesental Keine neuen „Baustellen“ aufreißen

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Halbzeit für Zells Bürgermeister Peter Palme: Vier Jahre seiner ersten Amtsperiode hat er hinter sich, genauso viele noch vor sich. Foto: Peter Schwendele

Interview: Halbzeitbilanz: Zells Bürgermeister Peter Palme ist heute genau vier Jahre im Amt

Zeit für eine Zwischenbilanz: Zells Bürgermeister Peter Palme ist am heutigen Mittwoch genau vier Jahre im Amt, die erste Hälfte seiner achtjährigen Amtsperiode ist damit vorbei. Unser Redakteur Peter Schwendele hat sich mit dem Zeller Rathauschef unterhalten und ihn zurück und nach vorne blicken lassen.

Frage: Sie kamen als Quereinsteiger ins Zeller Rathaus. Wie haben Sie sich in Ihre Aufgabe hineingefunden und wie haben Sie die ersten vier Jahre als Bürgermeister erlebt?

Es ist unglaublich, wie schnell diese vier Jahre vergangen sind. Das zeigt aber auch, wie spannend und abwechslungsreich, aber auch wie arbeitsreich diese Zeit war. Waren es anfangs der Jobwechsel in ein unbekanntes Terrain, etwas später die vielen Großbrände und die Hochwasser, so folgte die letzten beiden Jahre die Corona-Krise mit täglich neuen Herausforderungen und Überraschungen – zusätzlich zum normalen Tagesgeschäft. Und wie wir seit wenigen Wochen wissen, wird uns die Coronakrise leider auch weiterhin intensiv beschäftigen und unser Leben beeinflussen.

Das Hineinfinden in den Job als Bürgermeister einer Stadt von der Größenordnung Zells ist natürlich für mich als Quereinsteiger nicht immer leicht gewesen. Eigentlich sollte man als Qualifikation für diesen Job mitbringen: Ein Studium an einer Verwaltungshochschule und ein Studium als Jurist und ein technisch-/betriebswirtschaftliches Studium und Erfahrung im Katastrophen- und Konfliktmanagement und Menschlichkeit und Sozialkompetenz.

Die drei letzten Punkte brachte ich mit, die beiden ersten Punkte kann man nicht komplett nachholen. Das bleibt eine ständige Herausforderung. Dies geht aber fast jedem Bürgermeister einer kleineren Gemeinde in unserem Umkreis so.

Umso wichtiger ist es, dass man sich auf einen soliden „Unterbau“ durch seine Fachbereichsleiter – die zweite Führungsebene im Zeller Rathaus – verlassen kann. Und dies ist bei uns so. Es ist sehr wichtig, dass ich mich selbst nach vier Jahren immer wieder neuen Themen stellen muss und dafür auch die Bereitschaft aufbringen muss, mich immer wieder in neue Themen einzuarbeiten. Fazit: Ich habe diese Entscheidung nie bereut und würde mich heute wieder so entscheiden. Anders gesagt: Ich freue mich auf möglichst viele weitere Jahre im Dienste der Stadt Zell.

Frage: Wenn Sie heute mit der Erfahrung der ersten vier Amtsjahre eine Arbeitsplatzbeschreibung für Bürgermeister geben müssten, wie würde die aussehen?

Zusätzlich zu den bereits genannten Punkten könnte man sagen: Breites Aufgabenfeld vom Kindergarten bis zum Hinterwälderrind; jeden Tag Flexibilität zeigen, vor allem seit Beginn der Coronakrise; Bereitschaft, auch am Feierabend und an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen für die Stadt und ihre Bürger da zu sein; immer offene Ohren für die Sorgen und Anliegen der Bürger haben; gute Kommunikationsfähigkeit sowohl intern als auch extern; eine Lebenspartnerin zu haben, die dies alles akzeptiert, mitmacht und unterstützt; keine Angst vor schwierigen Sitzungen haben; jeden Tag neue Organisationsarbeit aufgrund schnell wechselnder Rahmenbedingungen und unvorhergesehener Ereignisse erbringen; Führung von 100 Mitarbeitern aus unterschiedlichsten Bereichen; ständige Betrachtung der finanziellen Möglichkeiten; eine politische Unabhängigkeit ist sicher bei einer Stadt mit der Einwohnerzahl wie in Zell vorteilhaft; hohe Belastbarkeit auch bei persönlichen Angriffen und Beleidigungen oder bei Bedrohungen; alle Bürger sind gleich zu behandeln; man muss oftmals auch Nein sagen können.

Frage: Welche Schwerpunkte konnten Sie in den vergangenen Jahren bearbeiten und umsetzen, wo ist noch Luft nach oben?

Generell sind viele Bautätigkeiten zu verzeichnen, die angefangen, geplant, fortgesetzt oder neu begonnen wurden, so etwa die Feuerwehrgaragen Atzenbach und Riedichen, die Aussegnungshalle Gresgen, die Realschule und Gerhard-Jung-Schule, der Kauf der ehemaligen Sprachheilschule mit Umbau zum Kindergarten, die Fertigstellung der Kinderkrippe, die Quellsanierung Pfaffenberg, die Wasserversorgung Blauen, der Breitbandausbau, die Nahwärmeversorgung Zell-West und die Hangsicherungsmaßnahmen an der „Roten Fabrik“.

Luft nach oben gibt es immer an vielen Stellen, unter anderem auch, weil Corona sehr viel kostbare Zeit in Anspruch nimmt. Das Stadtmarketing hat noch viele offene Punkte, welche hinten anstehen mussten. Straßensanierungen sind notwendig, mussten aber aufgrund der Finanzlage verschoben werden

Frage: Wie sieht es mit dem Wohnungsbau in Zell aus? Die CDU hat hier den Leisenberg wieder ins Spiel gebracht. Sehen Sie diesen Bereich als Alternative?

Ich sehe natürlich auch diesen Bereich als Möglichkeit. Bedenken muss man, dass dieser sehr groß ist und viele Grundstücke auch entstehen könnten. Dafür muss ein Markt vorhanden sein. Ganz unproblematisch ist dieser Bereich nicht: Das Schützenhaus liegt im direkten Umfeld, ferner ist das Gelände relativ steil, eine Stromleitung muss verlegt werden und eine große Pachtfläche für die Landwirtschaft würde entfallen, für welche kein Ersatz angeboten werden kann. Die Preise wären somit relativ hoch.

Frage: Welche Gebiete könnten sonst noch erschlossen werden?

Vorrangig sollten bisher unbebaute Bauflächen und Grundstücke bebaut werden. In Adelsberg gibt es das  Baugebiet Hinterziel, für das eine Einigung der Besitzer und/oder der Bauwilligen seit Jahrzehnten aussteht. In Gresgen sind einige unbebaute freie Flächen vorhanden, welche seit vielen Jahren auf die Bebauung warten. Solange diese Grundstücke nicht bebaut werden, will das Landratsamt keine neuen Baugebiete genehmigen. In Pfaffenberg gibt es das Baugebiet Hemmerain, für das demnächst eine GbR gegründet werden soll. In Riedichen sind Aktivitäten vorhanden, einzelne Baulücken zu schließen, wohingegen es in Mambach aufgrund der Topographie kaum Bauplätze und Baulücken gibt.

Die Flächen zwischen Mambach und Atzenbach dürfen aufgrund der Einstufung als „HQ-100-Gebiet“ (100-jähriges Hochwasser) nicht bebaut werden. An den Steillagen auf Zells Nordseite wäre die Bebauung und Erschließung zu teuer und würde die bisher schon hohen Grundstückspreise in unbezahlbare Höhen treiben. Dasselbe gilt für die Zeller Südseite: Hier kommt noch die unattraktive Schattenlage im Winter hinzu.

Umso erfreulicher ist es, dass vor Kurzem am Bahnhof der nächste Bauabschnitt begonnen hat und hier neuer Wohnraum geschaffen werden kann.

Frage: Wie hat sich die Ärzteversorgung entwickelt? Ist die Lage aktuell zufriedenstellend oder gibt es noch Handlungsbedarf?

Der viel prognostizierte Zusammenbruch der ärztlichen Versorgung nach dem Weggang von Dr. Mersch und der Zeitreduzierung von Dr. Poland ist nicht eingetreten. Die Hausarztpraxis Dr. Koch und Team konnte eine Unterversorgung vollumfänglich verhindern. Und das erfüllt mich mit großer Freude und Dankbarkeit. Einige Zeller sind ausgewichen zu anderen Ärzten im Wiesental. Selbst in den schwersten Wochen der Corona-Pandemie gab es keine Probleme bei der ärztlichen Versorgung. Dasselbe gilt für das Impfen unserer Bürger in der Gemeinschaftspraxis.

In der Pandemie ist eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Gemeinschaftspraxis entstanden. Wir stehen wöchentlich im konstruktiven Austausch. Dr. Koch ist für mich ein unverzichtbarer Berater für die Bewältigung der Corona-Situation in Zell geworden. Ihm gilt großer Dank für diese Unterstützung.

Es gab einige Interessenten, die sich in Zell als Arzt niederlassen wollten, bei keinem davon war das Interesse derart nachhaltig, dass daraus ernstzunehmende Absichten abgeleitet werden konnten.

Nun hoffen wir, dass Dr. Koch möglichst lange praktiziert und – wie er es wünscht – selber einen Nachfolger finden und einarbeiten kann.

Frage: Vor vier Jahren hatten Sie, angesichts der Tatsache, dass kein Gegenkandidat auf den Plan trat, gemutmaßt, dass Zell ein Imageproblem hat. Was hat der Prozess des Stadtmarketings in dieser Hinsicht gebracht? Was ist noch zu erwarten?

Das Stadtmarketing hat bereits viel bewirkt, denken Sie vor allem an die optische Gestaltung der Innenstadt, etwa mit Bänken und Himmelsligen, versehen mit dem neuen Schwanen-Logo, oder auch den Info-Leuchtkästen auf dem Sparkassenplatz. Ich sehe es heute nicht mehr als starkes Imageproblem. In Zell hat sich Einiges verändert, auch wenn noch viele Punkte aus dem Stadtmarketing, wie beispielsweise das Leerstandsmanagement, offen sind.

Die Planungen für 2022 und 2023 laufen; Fördergelder von insgesamt 90 000 Euro für drei Jahre sind gesichert. Wir sind dem Bürgerverein sehr dankbar, dass weitere Investitionen folgen werden, etwa in die Begrünung von Betonwänden, in Wegweiser, in Beschilderung, in Fahrradständer, in themenbasierte Spazierwege und in die Restaurierung von Spielplätzen.

Frage: Aktuell wird die Finanzlage der Stadt stark diskutiert. Seit der Umstellung auf das neue Haushaltsrecht vor drei Jahren hat Zell große Probleme, einen ausgeglichenen Haushalt auf die Beine zu stellen. Was sind Ihre Ansätze, um die finanzielle Schieflage in den Griff zu bekommen?

Das neue kommunale Haushaltsrecht verlangt von uns, dass die notwendigen Abschreibungen erwirtschaftet werden müssen. Dass betrifft etwa 600 000 bis 700 000 Euro pro Jahr zusätzlich. Gleichzeitig sind unsere Ausgaben durch laufende Projekte wie Schulumbau und Investitionen in Kindergärten stark gestiegen. Hinzu kommen notwendige Investitionen im Schulbereich bei der Digitalisierung. Zells Steuereinnahmen sind aufgrund seiner Sozialstruktur deutlich niedriger als in anderen Städten im oberen Wiesental. Die Steuereinnahmen sinken auch aufgrund der coronabedingten Konjunktur. Die Ausgaben steigen coronabedingt. Die Möglichkeit einer weiteren Verschuldung ist nicht gegeben beziehungsweise trifft auch nicht auf meine Zustimmung.

Ziel ist nun: Bestehende Projekte zu Ende bringen, Konzentration auf die Erweiterung des Kindergartens und vorerst keine neuen und finanzintensiven risikoreichen „Baustellen“ aufreißen. Hier müssen sich die Bevölkerung und der Gemeinderat leider auf etwas magere Jahre einstellen. Das große „Wunschkonzert“ muss somit deutlich leiser ausfallen. Hierbei soll aber nicht unerwähnt bleiben, dass alle diese Projekte, die ich zum Teil auch „geerbt“ habe, selbstverständlich dringend notwendig und nicht aufschiebbar sind. Somit finden diese Projekte natürlich auch meine Zustimmung.

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