Zell im Wiesental Kinder auch in Krisenzeiten hören

Markgräfler Tagblatt
Miriam Lünsmann-Stiegeler, Barbara Huber-Kramer, Birgit Agostini und Christine Zeller (von links) berichteten über die Aktion „Kindern eine Stimme geben“, die vom Institut für Bildung und Management (IKS) in Zell initiiert wurde.Foto: Peter Schwendele Foto: Markgräfler Tagblatt

Corona: IKS-Projekt „Kindern eine Stimme geben“ / Umfrage zu den Erlebnissen in der Pandemie   

„Schön, dass mich auch mal jemand fragt.“ Diese Aussage eines sechsjährigen Kindes steht exemplarisch für das Projekt „Kindern eine Stimme geben“, mit dem in Zeiten der Corona-Krise das Augenmerk auf die jüngsten Mitglieder der von den Auswirkungen der Pandemie gebeutelten Gesellschaft gelenkt werden soll.

Von Peter Schwendele

Zell. „Es wurde in den vergangenen Monaten zwar viel über, aber zu wenig mit den Kindern gesprochen“, fasst Christine Zeller die Lage zusammen. Sie ist Geschäftsführerin des Instituts für Bildung und Management (IKS) in Zell, dessen Weiterbildungsangebot sich auch auf den Kindergarten- und Kindertagesstättenbereich erstreckt. Unter Federführung der Referentin Barbara Huber-Kramer hat das IKS die Aktion ins Leben gerufen, um die Beteiligung von Kindern in der Krisenzeit zu intensivieren.

Über 80 Kinder im Landkreis befragt

Konkret wurden über 80 Kinder im Landkreis Lörrach in der Phase des Lockdowns von ihren Erzieherinnen über Skype oder Telefon kontaktiert und konnten so aussagekräftige Antworten zu ihren Befindlichkeiten, Ängsten und Wünschen geben.

Einige der Kernergebnisse, die am Dienstag bei einem Pressegespräch in den Räumen des IKS präsentiert wurden: 52 Kinder sagten spontan, sie wissen, was das Coronavirus ist, 17 Kinder äußerten sich über ihre Ängste in der Pandemie, 42 haben ihre Freunde in der Zeit der Kita-Schließungen und der Kontakteinschränkungen vermisst. 56 der befragten Kinder gaben an, dass die Mütter in dieser Zeit überwiegend zu Hause waren, bei 21 waren es der Vater und 46 berichteten, dass die Geschwister zu Hause waren.

Die meisten Kinder haben, so zeigt die Umfrage, die wichtigsten Regeln angenommen: Abstand halten, Händewaschen, Mundschutz benutzen – auch wenn ein Kind meinte, ein Weltraumanzug sei nötig, um sich vor dem Virus zu schützen. Deutlich wurde, dass sich, wie die Erwachsenen, auch die Kinder wünschen, „dass das Virus tot ist, weil es nervt“, wie es ein befragtes Kind plastisch formulierte.

Christine Zeller und Barbara Huber-Kramer legten dar, dass die Corona-Krise – in der Kinderbetreuungseinrichtungen sehr früh komplett geschlossen worden waren – in den Familien und von den Kindern unterschiedlich erlebt worden sei. Zu Beginn sei es häufig noch als positiv wahrgenommen worden, dass man mehr Zeit als üblich miteinander verbringen konnte, nach einigen Wochen wurde die Situation für viele zunehmend zur – in Extremfällen unerträglichen – Belastung. Die Initiatorinnen kritisieren, dass sich die politische Debatte in der Krise kaum um die Bedürfnisse von Kindern gedreht habe. Vielmehr seien sie möglichst „wegorganisiert“ worden, meinte Barbara Huber-Kramer.

Aus der Praxis berichteten beim Pressegespräch auch Miriam Lünsmann-Stiegeler vom Kindergarten Schopfheim-Eichen und Birgit Agostini vom Kindergarten Zell. Zentrale Erkenntnis für beide: Die meisten Kinder vermissen die Betreuungseinrichtungen und wollen gerne wieder in den Kindergarten kommen. In der Befragung wünschten sich 45 Kinder von ihrer Kita, dass alles so ist wie vorher.

Das würden viele Einrichtungen jetzt, nachdem der Regelbetrieb in den Kitas in Baden-Württemberg in diesen Tagen langsam wieder aufgebaut wird, gerne gewährleisten. Huber-Kramer betont allerdings, dass das Leben nicht mehr so ist, wie es vor Corona war, da Einschränkungen weiter spürbar bleiben. „Wir müssen mit den Kindern über das Thema reden, immer positiv, aber realistisch“, meint die erfahrene Erzieherin und plädiert dafür, dass Erwachsene durchaus ihre eigene Bedrückung durch die ungewohnte Situation zeigen sollen.

Ohnehin ist für die Fachkräfte, die das Tagesgeschäft bewältigen müssen, die große Frage, wie es konkret in den Kinderbetreuungseinrichtungen weitergehen soll. Aktuell dürfen Kindergärten bis zu 50 Prozent der Kinder wieder aufnehmen, ab Juli sollen wieder alle Kinder in die Einrichtungen zurückkehren können. Gleichzeitig geht Kultusministerin Susanne Eisenmann aber von einem aktuellen Fachkräftemangel von 30 Prozent aus. Noch ist unklar, wie diese Lücke geschlossen werden soll.

Schreiben an Ministerin Susanne Eisenmann

Das IKS hat sich deshalb jetzt mit einem Schreiben an die Ministerin gewandt. In diesem wird dargelegt, dass die Zeller Einrichtung in den vergangenen Monaten gerade auch bei der Gewinnung weiterer pädagogischer Fachkräfte für Kitas mit neu gestalteten Onlineangeboten sehr gute Erfahrungen gemacht hat. Die entwickelten Konzepte für diese Zusatzausbildung könne man zeitnah landesweit zur Verfügung stellen, bietet das IKS der Ministerin an. Gleichzeitig wird in dem Schreiben gefordert, den Personalschlüssel in den Kitas heraufzusetzen, damit die Teams in den Einrichtungen den gestiegenen Anforderungen an die Kinderbetreuung gerecht werden können.

Die Politik habe zu lange geschlafen, kritisiert Barbara Huber-Kramer, eine 2019 angelaufene Fachkräfteoffensive sei viel zu spät gestartet worden. „Es muss dringend die Attraktivität des Berufs gesteigert werden, um die Rechte der Kinder zu stärken und zu wahren“, heißt es demzufolge in dem Schreiben an Ministerin Eisenmann. Ob die Erkenntnisse aus der Corona-Krise für ein grundsätzliches Umdenken in Politik und Gesellschaft bei diesem Thema sorgen werden?

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