Das Militär ermöglicht damit auch einen sozialen Aufstieg. Die Soldaten werden mit hohem Sold angeworben. Mehr als 2000 Euro verspricht das Verteidigungsministerium den Russen, die in den Krieg ziehen. Gerade in den Regionen ist das ein gewichtiges Argument, liegen die Gehälter dort doch teilweise bei einem Zehntel der Summe. Soldaten werden damit zu Aufsteigern in ihrer Region, die den Konsum ankurbeln, weil sie sich mehr leisten können als andere.
Das derzeitige Wachstum bringt aber strukturelle Probleme mit sich: Der ohnehin bestehende Mangel an Fachkräften wird durch die Fokussierung auf die Kriegswirtschaft noch verschärft. Paradox: Selbst in der traditionell gut zahlenden Ölindustrie fehlen inzwischen Arbeitskräfte, weil im Rüstungssektor und an der Front mehr Geld fließt. Die Konkurrenz treibt die Löhne in die Höhe, ohne dass die Arbeitsproduktivität steigt. Im Gegenteil: Durch Sanktionen fällt Russland technologisch im internationalen Vergleich zurück. Die Wirtschaft wird damit abhängig vom Krieg - und der Möglichkeit des Staates, diesen zu finanzieren.
Lage an der Front: Minister fordert Tempo bei Angriffen
Verteidigungsminister Sergej Schoigu treibt die Rüstungsindustrie indes immer wieder an - auch bei Besuchen in Produktionsstätten. Nötig seien mehr und qualitativ hochwertige Waffen, darunter vor allem auch Drohnen für die Front, betont er. Der Putin-Vertraute mahnt mit Blick auf die von den USA und anderen Staaten angekündigte Waffenhilfe für die Ukraine zur Eile. "Es ist nötig, das Tempo der Angriffe zu erhöhen", sagt Schoigu bei einer Sitzung mit Militärs in Moskau - und lobt zugleich, allein seit Jahresbeginn seien rund 550 Quadratkilometer ukrainisches Gebiet erobert worden.
Tatsächlich sind die russischen Streitkräfte nach einem Durchhänger im ersten Kriegsjahr, wo sie einige bittere Niederlagen erlebten, wieder in der Offensive. Das hängt zum einen mit der gesteigerten Kriegsproduktion im Inland zusammen, zum anderen damit, dass die Versorgung der Ukraine mit Waffen und Munition monatelang durch deren Hauptverbündeten USA lahmgelegt worden war.
Die Krise ist für Kiew auch nach der Verabschiedung eines US-Hilfspakets über 61 Milliarden Dollar (57 Milliarden Euro) nicht überwunden. Es wird noch dauern, bis die Waffen an der Front ankommen. Viele erfahrene Soldaten sind gefallen. Zudem musste die Ukraine in der Zeit mit Awdijiwka eine wichtige Festung aufgeben. Experten sehen das Land frühestens 2025 wieder imstande, Territorium zurückzuerobern. Russland hingegen hofft nach Einschätzung von Experten im Sommer auf einen Frontdurchbruch und zielt auf die Millionenstädte Charkiw und Odessa.
Militarisierung auch von Kindern und Jugendlichen
Putin, der nun sechs Jahre bis zur nächsten Wahl regieren will, rüstet sich für einen langen Krieg. Ein Ende der Invasion in der Ukraine oder von Moskaus Konfrontation mit dem Westen ist nicht in Sicht.
Vielmehr reicht die Militarisierung inzwischen bis in die Schulen. Russische Medien berichten, dass Kriegsteilnehmer, darunter verurteilte Mörder und Sexualstraftäter, in Schulklassen auftreten und "Lektionen in Mut" erteilen. In sozialen Netzwerken machen Bilder die Runde, wie Mädchen und Jungen im Unterricht schusssichere Westen anprobieren. Eine Mutter in Moskau erzählt, ihre Tochter habe unlängst - wenig begeistert - eine Gasmaske zum Training überziehen müssen.
Landauf, landab öffnen Zentren für vormilitärische Ausbildung, wo Kinder nicht nur Schießen üben und unterschiedliche Granatenarten kennenlernen. Ausbildung gibt es auch an Drohnen und in Erster Hilfe. "Putin hat die Aufgabe erteilt, eine neue Generation an Patrioten heranzuziehen - wie erfüllen das", sagt Igor Worobjow, Direktor des Zentrums für militärisch-sportliche Ertüchtigung und patriotische Erziehung der Jugend "Woin" in Wolgograd (früher Stalingrad). Die Zielgruppe: Schüler und Studenten, 14- bis 35-Jährige, heißt es auf der Internetseite des Zentrums. Vor allem gehe es darum, sagt Worobjow, die jungen Patrioten gut auf den Kriegsdienst vorzubereiten.