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Efringen-Kirchen Gebäuden ein zweites Leben geben

Tonio Paßlick
An der Friedrich-Rottra-Straße in Kirchen hat eine Familie aus einer stark beschädigten Bausubstanz einen Wohntraum realisiert mit einem Wohnhaus mit drei Wohneinheiten, dem Backhaus im Vordergrund, das als solches und als Gästehaus genutzt wird und einer Scheune. Foto: Tonio Paßlick

Mit Bauwerken kann nachhaltig umgegangen und damit Kohlenstoffdioxid, der bei einem Neubau anfällt, eingespart werden. Michael Mann zeigte bei seiner „Architektour“ für die Agenda-Gruppe 2030 in Efringen-Kirchen praktische Lösungen.

Die Nutzung von bestehendem Wohnraum gilt als eines der wichtigsten Mittel, um Neubauten auf der grünen Wiese und damit unnötigen Flächenverbrauch vermeiden zu können, postulierte die Agenda-Gruppe 2030 aus Efringen-Kirchen im Sinne einer nachhaltigen Siedlungsplanung. Sie fand in Michael Mann, bis vor zwei Jahren in Erfurt Professor für „Architektur und Bauen im Bestand“, Mitglied im Bund Deutscher Architekten und seit seiner Emeritierung vor zwei Jahren in Welmlingen ansässig, einen kompetenten und engagierten Mitstreiter.

Nachdem Michael Mann im Oktober einen viel beachteten Vortrag über „Bauen im Bestand“ gehalten hatte, bot er eine „Architektour“ zu vier beispielhaften Gebäuden in der Großgemeinde Efringen-Kirchen sowie zwei Umnutzungen in Sitzenkirch und Gupf an. Mehr als 20 Personen trafen sich zunächst in Kirchen beim Gutshof „Gässle 19“, um unter dem Motto „Global denken – lokal handeln“ eine persönliche Vorstellung davon zu bekommen, dass die Nutzung vorhandener Flächenressourcen effizient, positiv für das Ortsbild und wirkungsvoll im Sinne der Energiewende sein kann.

Langlebiges Wirtschaftsgut

Der Wahl-Welmlinger relativierte bei seinen einführenden Worten vor der Rundfahrt gut gemeinte politische Zielvorgaben. Gebäude seien ein langlebiges Wirtschaftsgut. Da der Baubereich rund 45 Prozent des CO2 Ausstoßes erzeuge, sollte die Nutzung von Gebäuden verlängert werden, statt sofort an Neubaugebiete zu denken. Bei der Zielvorgabe, 400 000 neue Wohnungen im Jahr zu schaffen, müsse auch bedacht werden, dass sich der Bedarf auf fünf Verdichtungsräume in Deutschland konzentriere, während ländliche Regionen noch Reserven aufwiesen – wie zum Beispiel 2,4 Millionen ungenutzte Dachgeschosse oder Aufstockungs-Reserven. Eine nachhaltige „Umbau-Kultur“ sollte prämiert und priorisiert werden. Elke und Ulrich Weiß von der Agenda 2030 bedankten sich bei allen Bauherren für ihre Unterstützung. Während der Rundfahrt wurde dabei der Tross der Interessenten immer größer.

Foto: Tonio Paßlick

Die Steigerung an Wohnqualität und die Verknüpfung alten Bestandes mit neuen Technologien bestätigten auch die beteiligten Hauseigentümer, Bewohner und einige Architekten wie Erich Baumann, der für sein Büro „Siedlungswerkstatt“ eine faszinierend nachhaltige und plausible Strategie zum Umgang mit historischer Bausubstanz darlegte.

Neun Wohneinheiten

Im Dreiseitgehöft „Gässle 19“ einer denkmalgeschützten Bauernhofanlage aus dem späten 15. oder frühem 16. Jahrhundert, in der die Gebäude drei Seiten eines rechteckigen Hofs einnehmen, hat das Büro von Baumann auf neun Wohneinheiten mit insgesamt 800 Quadratmetern in einem Gesamtareal von 2000 Quadratmetern überplant. Der alte Hof bestand aus einem zweigeschossigen Wohnhaus, einer sich anschließenden Scheune mit Satteldach, einem kleinen Leibgedinge mit Gewölbekeller, das traditionell die Altbauern nach der Übergabe des Hofs bezogen und einem Back-/Brennhaus mit Fachwerkgiebel. Es gehört mit dem Backhaus an der Nordseite zu den ältesten Gebäuden von Kirchen, führt das Landesdenkmalamt Baden-Württemberg in seinem Verzeichnis der unbeweglichen Bau- und Kunstwerke aus.

In die Scheune wurde ein komplettes Wohnhaus eingebaut, drei neue Passivhäuser mit geringem Energieverbrauch wurden in die alte Substanz integriert, wobei das Büro die Ablesbarkeit von alt und neu zum Grundprinzip erhob. Baumann empfahl Bauherrengemeinschaften wie bei Gässle 19 als unkomplizierte Lösung.

Wie eine Familie nicht nur ihren Traum verwirklichen, sondern als Bauherr auch für einige weitere Mieter Räume in historischen Mauern bieten konnte, erläuterte Madeleine Schweizer einige Meter weiter in der Friedrich-Rottra-Straße. Durch eine launige Kette an Zufällen hatte sie mit ihrem Mann Johann überhaupt die Chance erhalten, das äußerst heruntergekommene Areal zu ersteigern. In Etappen wurden das Wohnhaus und dann das Backhaus zu Schmuckstücken verwandelt, Scheune und Längsriegel auf dem 3000 Quadratmeter großen Grundstücke sind noch in Arbeit.

Charakter beibehalten

Auf den weiteren Etappen besichtigte die „Architektour“ zunächst ein „Haus im Haus“ in Sitzenkirch, wo Architekt Ralf Brandhofer modernen Wohnraum an der Mühlenstraße 9 schaffen konnte, ohne die Hülle sehr zu verändern. Auch im Tannenkircher Ortsteil „Gupf“ wurden zwei Wohnungen am Mettlenweg durch Architekt Rolf Rhino geschaffen, obwohl der scheunenartige Charakter beibehalten wurde. Die Freiraumgestaltung fällt sofort beim Gutshof Blansingen an der Alemannenstraße 40/41 auf, wo die Architekten „Baumann & Czabaun“ eine beispielhafte Synthese von Respekt vor bestehender Bausubstanz und Schaffung zeitgemäßer Strukturen verwirklicht haben.

Schließlich kehrte die Gruppe nach fast fünf Stunden Besichtigung im Hofhaus Welmlingen an der Friedhofsstraße ein, wo die Teilnehmer als Gäste von Michael Mann und seiner Ehefrau Graziella bei Häppchen und Getränken noch lange ihre Eindrücke besprachen.

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