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Lörrach Auf dem Weg zur Integration

Regine Ounas-Kräusel
 Foto: Kristoff Meller

Tag des Flüchtlings I: Wo stehen wir im Integrationsprozess? Eine Bestandsaufnahme in Lörrach

Lörrach - Im August 2015 öffnete Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts des Bürgerkriegs in Syrien die Grenzen für Flüchtlinge und sagte den Satz: „Wir schaffen das.“ Im November kamen die ersten Flüchtlinge in Lörrach an. Heute leben 614 geflohene Menschen in der Stadt, und OB Jörg Lutz stellt fest: „Das Miteinander zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen funktioniert unaufgeregt und reibungslos.“ Doch er betont auch: „Integration bleibt eine Daueraufgabe.“

Die meisten Flüchtlinge in Lörrach kommen aus Syrien (210 Menschen), aus Afghanistan (53) und Gambia (54). Unter ihnen sind 208 junge Leute unter 18 Jahren. „Die Meisten, die jetzt noch da sind, sind als Flüchtlinge anerkannt“, sagt Geraldine Dannecker, Leiterin des Fachbereichs Bürgerdienste im Rathaus. „Viele haben sich in Deutschland eingewöhnt“, sagt Elke Doerries vom Freundeskreis Asyl. Sie hätten Sprachkurse besucht, eine Ausbildung begonnen oder seien berufstätig. Doch selbst viele gut integrierte Syrer fühlten sich in Deutschland zwar sicher vor dem Bürgerkrieg, aber nicht zu Hause. Zu verschieden seien die Kulturen.

Wohnen

Die Menschen leben in Lörrach in Anschlussunterbringung. Seit 2017 unterstützt das Welcome Center der Stadt sie bei der Integration. Fachleute der Stadt, der Caritas und der Diakonie helfen bei der Suche nach Arbeit, Sprachkursen und in allen Alltagsfragen.

„Ziel ist die Loslösung von öffentlichen Leistungen“, sagt Dannecker. Auch der Freundeskreis Asyl, der Arbeitskreis Miteinander (AKM), die Schubert-Durand-Stiftung und die Anwohnerbeirate in Neumatt-Brunnwasser und am Bächlinweg begleiten die Zuwanderer. Sie bieten zum Beispiel Sprachkurse speziell für Frauen an, einen internationalen Kochtreff, Handarbeitstreffen für Frauen, ein Lerncafé, Nachhilfe für Schüler und begleiten die Menschen im Alltag.

Rund 270 geflohene Menschen wohnen in den städtischen Unterkünften Neumatt-Brunnwasser (Haagen), am Bächlinweg beim Hauptfriedhof und in der Gretherstraße. Rund 150 Menschen leben in von der Stadt gemieteten Wohnungen. Dass rund 190 Menschen in selbst angemieteten Wohnungen leben, wertet Dannecker als wichtigen Schritt in die Selbstständigkeit.

Sie bestätigt, dass es Polizeieinsätze in den großen Unterkünften gibt: „Aber das ist keine Regelmäßigkeit, kein Alltag.“ Wo viele Menschen, die zum Teil Traumatisches erlebt hätten, eng zusammen wohnten, blieben Reibereien nicht aus.

Um eines Tages alle Flüchtlinge in eigenen Wohnungen unterzubringen, müsse zunächst neuer Wohnraum gebaut werden, sagt OB Lutz. Bis es soweit ist, wolle er die zentralen Unterkünfte in Abstimmung mit allen Beteiligten verlängern, teilt er mit. Die Unterkunft in Neumatt-Brunnwasser war zum Beispiel nur bis 2021 geplant.

Arbeit

Langsam fassen die Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt Fuß. Laut Arbeitsagentur gingen im Kreis Lörrach in Juni 2015 nur 126 Menschen aus den Hauptasylländern Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien einer sozialversicherten Arbeit nach, Ende 2019 waren es schon 687 Menschen. 13 Zuwanderer aus diesen Ländern hatten Ende 2015 einen Ausbildungsplatz, 129 Ende 2019.

Spezielle Förderprogramme für Flüchtlinge liefen 2019 aus, so Pressesprecherin Melanie Payer. Aber die allgemeinen Fördermaßnahmen, etwa die Assistierte Ausbildung und Fortbildungen stünden auch ihnen offen. Angesichts des Fachkräftemangels habe die Arbeitsagentur Interesse, die Flüchtlinge, speziell auch Frauen, zu fördern.

„Wer in Deutschland keine Bleibeperspektive hat, bleibt in unserer Gesellschaft ein Außenseiter“, sagt Elke Doerries. „Viele kommen nach Deutschland, weil sie hier arbeiten wollen, müssen aber Asyl beantragen“, beschreiben Ute Schmitz und Robert Kölblin vom AKM das Dilemma: Deutschland müsse zwischen Asyl und Arbeitsmigration unterscheiden.

Wer in Deutschland kein Asyl erhält, weil er zum Beispiel nicht politisch verfolgt oder vor einem Bürgerkrieg geflohen ist, wird nur geduldet. Geduldete Flüchtlinge dürfen in der Regel zwar arbeiten, bekommen aber keinen Deutschkurs. Kommt dann die Aufforderung zur Ausreise, erlischt auch die Arbeitserlaubnis. Wenn die Menschen dann nicht abgeschoben werden können, weil zum Beispiel ihre Papiere fehlen, seien sie zum Nichtstun verdammt. Das betreffe vor allem junge Männer aus afrikanischen Ländern oder auch aus Pakistan, schildern Schmitz und Kölblin. Doch was tun junge Männer ohne Perspektive, ohne Tagesstruktur, fragen sie und warnen: „Das wird gefährlich.“

Als richtigen Schritt sehen sie das neue Gesetz zur Beschäftigungsduldung und das neue Fachkräfte-Einwanderungsgesetz. Allerdings seien auch in diesen Gesetzen die Hürden für Arbeitsmigranten sehr hoch, merken sie kritisch an. Wer Fluchtursachen bekämpfen wolle, müsse die Wirtschaft in Afrika fördern.

Die Stimmung

Die Nachbarschaft funktioniere gut, auch wenn die große Hilfsbereitschaft abgeflacht sei, sagt OB Lutz. Die Flüchtlinge erführen nach wie vor Offenheit und Hilfsbereitschaft, aber auch noch Ablehnung und Aggression, sagt Elke Doerries: „Wir machen unsere Arbeit als Alltagsbegleiter weiter. Sie ist wichtiger denn je.“   

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