Das Ende des Dritten Reiches und damit auch der in Weil am Rhein wirksamen Nazidiktatur findet auf einer halben Seite Erwähnung durch Wiedergabe der kursorischen Aufzeichnungen des katholischen Pfarrers in Haltingen, Paul Lehmann.
Lehmann notierte unter dem Datum 26. Juli 1945: „Der Einmarsch der Franzosen geschah in bester Form. Es gab gar keine Zwischenfälle. Nach zwei Tagen rückten die Fronttruppen wieder ab. Und damit begannen die Plünderungen und Schändungen bei Tag und Nacht. Ganze Gruppen mit und ohne Auto kamen, brachen in die Häuser ein und nahmen mit, was da war.
Nach etwa zehn Tagen kamen Besatzungstruppen und damit wurde es besser, wenn auch noch manches zu beanstanden war. Heute (26. Juli 1945) ist Besatzung da, Marokkaner und andere.“
Gefühlslage am Oberrhein
Die Gefühls- und damit Angstlage der Bevölkerung wird nachvollziehbar bei einem Blick auf die militärische Befehlslage, auf die Flugblätter und Plakate für die Truppe und für die Zivilbevölkerung am Oberrhein.
Sie zeigen die Denkweise der handelnden militärischen und politischen Nazi-Führer in der Region. Sie brachten zum Ausdruck, was jahrelang offiziell gesagt, von vielen geglaubt und sicherlich von nicht wenigen im Alltag umgesetzt wurde. Sie zeigen aber auch, welches Risiko diejenigen eingingen und welcher Mut erforderlich war, den einmarschierenden französischen Verbänden mit weißer Fahne kapitulierend entgegen zu treten.
Auszüge aus dem Text von Flugblättern und Plakaten: „Deutsche Männer und Frauen am Oberrhein! Nationalsozialisten! Mit einem Gewaltstoß versucht der Feind jetzt in unsere engere Heimat einzubrechen. Damit gilt es für uns am Oberrhein, nunmehr auch die härteste Belastungsprobe zu bestehen. Wir wissen, wer uns gegenübersteht, und wir wissen, was sie mit uns vorhaben.
Die gaullistischen Negerdivisionen sollen wieder als schwarze Schmach auf unsere Frauen losgelassen werden, während hinter den Amerikanern die Juden als Besatzungsoffiziere, Militärpolizisten, Wirtschaftsausbeuter auf die Stunde ihrer Rache lauern. Alle sind nur die Schrittmacher des Bolschewismus willens, das Reich zu zerstören, es dem Hunger auszuliefern, das deutsche Volk auszurotten.“
„Soldaten an der Oberrheinfront! Gegen diese Absichten unserer Feinde gibt es nur eines: Kampf bis aufs Messer mit allen Mitteln, mit letzter Kraft. Der Westwall muss mit fanatischer Härte verteidigt werden!“
Am 13. April 1945 wurde den militärischen und zivilen Stellen des Armeeoberkommandos 19 (Oberrhein) per Fernschreiben der Führerbefehl übermittelt, dass jeder militärische Befehlshaber, der nicht bis zur letzten Patrone kämpft, Verrat an der Verteidigung des Reiches übe und der kriegsgerichtlichen Aburteilung wegen feiger Übergabe an den Feind übergeben werden müsse mit der grundsätzlichen Folge der Todesstrafe.
Vor diesem Hintergrund sind die Ereignisse in Weil am Rhein am 24. April 1945 und den folgenden Tagen und Wochen zu bewerten.
Info: Den zweiten Teil „Tage voller Schmach, Kummer und Sorgen" lesen Sie hier, den dritten Teil "Hamster-Zeiten und Liebesgaben" lesen Sie hier.
Der Gastautor Johannes Foege ist ehemaliger wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Rechtsgeschichte der Universität Freiburg.