Der Stolz auf die Revolution hält sich angesichts aktueller Probleme in Grenzen
Im Gefängnis in Caxias sprang am 27. April 1975 die Zellentür auf. Völlig übermüdet blickte Zé Carlos auf. „Männer fuchtelten mit Gewehren und erzählten, dass nun alles zu Ende sei und ich in Freiheit“, sagt er. „Ich konnte es nicht glauben.“ Was, wenn das nur ein Trick war, um ihn niederzuschießen? Was, wenn er sich wegen des Schlafentzugs etwas vorgaukelte? Erst als er die Stimmen seiner Genossen vernahm, ließ er sich nach Lissabon bringen, mitten auf die Praça do Comércio, wo die Leute noch immer die neu erworbene Freiheit feierten – darunter auch Faustina. „Er stand plötzlich vor mir“, sagt sie und wischt sich über die Augen.
Sie werden an diesem Freitag wieder in der Altstadt von Lissabon stehen, an der Avenida da Liberdade, wo seit jeher der Jahrestag der Revolution begangen wird. Mit Nelken in der Hand. Doch die Freude hält sich angesichts der aktuellen Probleme im Land in Grenzen. Zwar macht sich nach jahrelanger Rezession ein bescheidenes Wachstum bemerkbar, weshalb Portugal bald den europäischen Rettungsschirm verlassen kann. Bei der Bevölkerung ist das noch nicht angekommen: Noch immer verharrt die Arbeitslosenquote bei 15 Prozent. Viele soziale Leistungen wurden gekürzt. Die Revolution von 1974 ist daher für viele Portugiesen ein Bezugspunkt. Als der Ministerpräsident Pedro Passos Coelho vor kurzem eine Rede hielt, ertönte die Hymne der Nelkenrevolution von der Zuschauerbühne – als Mahnung an die politischen Verantwortlichen. „Es ist gut, sich zu erinnern“, sagt Zé Carlos. An das, was das Volk mit eigenen Kräften möglich machen kann.
Unsere Redakteurin und die portugiesische Journalistin Maria João Guimarães haben bei dem Journalistenaustausch „Nahaufnahme“ des Goethe-Instituts ihren Arbeitsplatz getauscht: Maria João Guimarães war in Stuttgart, Regine Warth arbeitete bei der Zeitung Publico in Lissabon. Das Goethe-Institut pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit.